Trade Wind und „The Day We Got What We Deserved“: Alles rauscht vorbei
30.05.2021 | Jakob Uhlig
Wer über Trade Wind spricht, kommt selten umhin, die Ursprungsgeschichte des Projekts zu betonen. Da erschaffen die Mitglieder zweier weltweit erfolgreicher Hardcore-Bands Musik, die so gar nicht nach Stick To Your Guns oder Straight From The Path klingen mag. Trade Wind konnten die in uns alle wohnende Verletzlichkeit stets besonders gut verkörpern, weil sie die andere Seite von Musikern offenbarten, deren Kunstfiguren normalerweise nur unnachgiebige Rebellion mimten. Mit Hinblick auf „The Day We Got What We Deserved“ scheint es allerdings so, als müsste man diese Geschichte retrospektiv nachkorrigieren – denn erst ein Album dieses Charakters kann eigentlich verdeutlichen, wie weit Trade Wind mit ihrem eigenen Sound gehen können und wie viele Spuren der Hauptprojekte der Bandmitglieder noch in den ersten Platten steckten.
Konnte auf einem „You Make Everything Disappear“ nämlich noch ein unruhig bebender Song wie „Lowest Form“ stattfinden und auf dem Nachfolger ein „Close Encounters“ seinen sphärischen Post-Hardcore-Ausbruch finden, fehlen derartige Elemente auf dem dritten Werk quasi vollständig. Stattdessen haben Trade Wind auf „The Day We Got What We Deserved“ zu einer beeindruckend charakterstarken Soundpalette gefunden, die ihre Stärke vor allem in der Introvertiertheit sucht. Viele Gestaltungsspielräume der Platte erinnern dabei an die Ästhetik vom Song „I Can’t Believe You’re Gone“, dem größten Geniestreich des Vorgängers. Die klassische Bandbesetzung verschwimmt zunehmend in einem Rausch aus Lo-Fi-Ästhetik, die in den letzten Jahren eine neue Avance als Hintergrundbeschallung für produktive Studierende feiern durfte, aber selten derartig konsequent in ein Album mit weiterführenden klanglichen Ideen und Narrativen eingebunden wurde. „Don’t Rush“ ist etwa ein Paradebeispiel für diesen Sound und begibt sich unterstützt von elektronischem Drum-Beat und im Hall-Nebel verschwimmendem Klavier in eine minimalistische, aber enorm tiefe Soundreise. „Weather Eyes“ gelingt mit ähnlichen Mitteln zusätzlich noch der Weg in eine der schönsten Melodien des Albums und lässt zugleich ganz dezent ein Saxophon anspielen – ein Gimmick, das nicht wie eines wirkt, sondern angenehm organisch ins Klangbild des Tracks einfließt.
Am größten werden Trade Wind auf ihrer dritten Platte auch dann, wenn sie Soundsphären von geradezu engelsgleicher Schönheit entfachen – der Pathos ist an dieser Stelle ausnahmsweise mal angebracht. Die wortkarge Gesangskonstruktion im Zentrum des Songs „Bishop“ gehört zum Anmutigsten und Großartigsten, was diese Band jemals geschrieben hat. Das im Titel nach manischer Aggression klingende „Die! Die! Die!“ erweist sich als traumhafte Exploration sanfter Akustik, in der Trade Wind wesentlich natürlicher klingen als auf den meisten Songs der Platte. Gleichzeitig zeigt sich in diesem Song die beißende Ironie auf der inhaltlichen Ebene der Platte: Während Jesse Barnett über Todesphantasien und die Gottlosigkeit der Welt singt, klingt er, als würde ihn all dies höchstens noch passiv berühren können. Wenn das erste Trade-Wind-Album noch mit Wut und Verzweiflung gegen die inneren Zerwürfnisse gefeuert hatte und „Certain Freedoms“ diesen Gefühlen mit einer gewissen Akzeptanz begegnet war, scheint „The Day We Got What We Deserved“ nur noch Resignation übrig zu haben. Ist die Ruhe mit dem Schrecken des eigenen Seelenlebens gesund oder im Gegenteil der besorgniserregendste Zustand, den man sich denken kann? Vielleicht ist Trade Winds dritte Platte das Album, das besser als jedes andere eine Zeit ausdrücken kann, in der Schrecken so allgegenwärtig geworden ist, dass er geradezu profan erscheint.
Wertung
Ob man Trade Wind mit ihrem dritten Album nach wie vor zu den unterschätztesten Gitarrenbands der Welt zählen kann, ist nur hinsichtlich der neuen instrumentalen Ausrichtung der Platte fraglich. Zu den innigsten Werken des Jahres dürfte „The Day We Got What We Deserved“ aber zweifellos wieder gehören.
Wertung
Oftmals schaffen es Künstler:innen nicht wirklich, ihre musikalischen Solo- oder Nebenprojekte so vom Sound ihres restlichen Schaffens abzugrenzen, dass man als Hörer:in nicht gleich denkt: “Moment mal, das klingt ja genau wie…” Trade Wind hatten dieses “Problem” bisher sowieso nicht wirklich und zementieren mit ihrer dritten Platte ihr Alleinstellungsmerkmal nun noch einmal für alle deutlich hörbar.
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.