Kraftklub und "Sterben in Karl-Marx-Stadt": Banger auf der B-Seite
01.12.2025 | Mark Schneider
"Sterben in Karl-Marx-Stadt" warf große Schatten voraus: Bei einem im Netz übertragenen Konzert in Chemnitz erfolgte bereits im Mai die Ankündigung des neuen Albums und die Livepremiere der ersten Single "Schief in jedem Chor", inklusive (na klar!) in rote Gewänder gehülltem Chor. Die Nummer wurde zur Feier des Tages gleich zwei Mal gespielt und bildete die Zugabe und den Abschluss dieses vollkommen überlaufenen Auftritts in Karl-Marx-Stadt, wie die Stadt von 1953 bis 1990 hieß. Schon im Sommer war klar: Kann dieses Album ansatzweise an "Schief in jedem Chor" anknüpfen, wartet hier ein großartiges Album auf uns alle. Allerdings ist die erste Single oft nicht ohne Grund eben diese und umso gespannter wurde die Anfang August erschienene Nummer "Wenn ich tot bin, fang ich wieder an" erwartet. Es folgten zwei Versionen des Songs "Unsterblich sein" mit Feature von Domiziana, die das neue Album eröffnen und beschließen. Vor allem die ruhigere, am Ende der Platte zu findende Version lässt "Sterben in Karl-Marx-Stadt" würdig ausklingen. Vier Songs, die einen ersten Eindruck vom neuen Album vermittelten und durch die Bank kurzweilig, einprägsam und unterhaltsam sind. Doch Kraftklub setzen noch einen drauf.
Die Liste von Features auf diesem Album ist lang: Zu Domiziana gesellen sich Faber, Nina Chuba und Deichkind. Alles hochkarätige Acts, die auf ihre eigene Art und Weise einen Beitrag zu "Sterben in Karl-Marx-Stadt" leisten. "All die schönen Worte" mit Faber handelt von den vielen potenziellen Formen des unerwarteten sowie viel zu frühen Ablebens und die Tatsache, dass oftmals nicht mehr so viel Zeit für Ungesagtes bleibt, wie man eigentlich denkt. Dass "Wenn ich tot bin, fang ich wieder an" auf diesen Song folgt, ist wahrscheinlich kein Zufall. "Fallen in Liebe" mit Nina Chuba als fünfter Track beinhaltet eine Kombi aus Felix und Nina, deren Kompatibilität man aus Kummer-Zeiten bereits bestens kennt. "Schief in jedem Chor" beschließt die erste Hälfte des Albums, von der zwei Drittel der Titel bereits bekannt waren. Zeit also für die große Unbekannte: Die B-Seite.
Wer die These als gegeben nimmt, dass die vermeintlich guten Songs auf der ersten Hälfte eines Albums platziert werden sollten, verpasst auf "Sterben in Karl-Marx-Stadt" so einiges. Mit "So rechts" eröffnet die einzig politische Nummer des Albums diese zweite Hälfte wahrlich unterhaltsam. Ob nun Autorinnen von Zaubereiromanen oder man selbst, weil man im Alter nicht mehr mitkommt und anfängt quellenlose Videos in Familienchats zu senden: "Irgendwann wirst du rechts. Aber bitte nehmt mir vorher mein Handy weg!" Die Kluft zwischen einer Band mit Haltung und Konzertgästen, für die es etwas weniger um "Kluggescheiße und Schlaugequatsche" und etwas mehr um Schnaps und Feierei gehen dürfte, thematisiert "Halts Maul und spiel", der fast schon als astreine Punkrocknummer durchgeht.
Wie gut Kraftklub mit Deichkind und den entsprechenden Beats Hand in Hand gehen kann, zeigt "Zeit aus dem Fenster", der mit der klaren Handlungsempfehlung endet, so viel Zeit wie möglich zu verschwenden. "Kippenautomat" und "Ein letztes Mal" gehen noch einmal als typische Kraftklub-Nummern ohne Features durch, bevor das oben erwähnte "Unsterblich sein" in der ruhigeren Fassung "Sterben in Karl-Marx-Stadt" beschließt. Im Vergleich zu seinen Vorgängern ist dieses Album deutlich unpolitischer, durch seine Features und die dadurch eingebrachten, vielseitigen Facetten haben Kraftklub jedoch einen würdigen Nachfolger für "KARGO" geschaffen, der auch das Musikjahr 2025 langsam aber sicher in Richtung Abschluss überleitet.
Wertung
Da Kraftklub erst mit der Show bei Rock im Park 2024 ihren Weg in meinen musikalischen Kosmos gefunden haben, musste ich in den letzten Monaten einiges nachholen. Umso leichter fällt mir aber auch der Vergleich zu den vorangegangenen Alben und die Erkenntnis, dass "Sterben in Karl-Marx-Stadt" schnell Zugang zu mir gefunden hat. Dass ich einmal Features von Nina Chuba und Deichkind loben würde hätte ich auch lange nicht für möglich gehalten. Die Vinyl wandert vollkommen zurecht nicht nur in meinen Plattenschrank, sondern wird auch regelmäßig ihren Weg auf meinen Teller finden.
Mark Schneider
In Marks ländlicher Heimat fährt der letzte Bus kurz nach der Tagesschau (die um 20:00 Uhr). Die Nähe nach Köln, Frankfurt oder Wiesbaden hält ihn jedoch nicht davon ab, ständig auf Achse zu sein. Ob kleine Acts im Club oder Musikgiganten vor Tausenden: Besucht wird, was laut ist und Spaß macht! Dabei sind im Genre (fast) keine Grenzen gesetzt.