Alessandro Cortini und "SCURO CHIARO": Synthetische Ruhe
03.07.2021 | Johannes Kley
Alessandro Cortini ist seit Jahren aus der Szene der Synthiemusik nicht mehr wegzudenken. Angefangen an einem Laptop in einem Wandschrank, hat der Italiener, welcher während der Coronapandemie von Berlin nach Portugal umzog, mittlerweile eine beachtliche Sammlung an Synthesizern in seinem Besitz und beherrscht diese zweifelsohne, was auch an seiner Veröffentlichungsfrequenz auf Bandcamp zu sehen ist.
Wenn er nicht gerade mit Nine Inch Nails auf Tour geht, produziert er Musik und liefert mit „SCURO CHIARO“ (zu deutsch „dunkel hell“) nun auch mal wieder ein Album, welches sich Fans in die CD- und Plattenschränke stellen können. Lohnenswert ist dies vor allem für Fans von Drone-Synthies und eher düsteren und ruhigen Stücken, welche allesamt gesanglos sind. Gesprochen wird hier nur durch Melodie. Etwas Gesang hätte das Album vermutlich aufgelockert, allerdings auch die doch sehr dichte Atomsphäre gestört und die Platte in eine andere Richtung treiben lassen. Der vorab veröffentlichte Song „CHIAROSCURO“ machte jedenfalls bereits Lust auf mehr.
Der Rest des Album ist teils ähnlich stark und zeichnet sich durch düster-dröhnende und sanft-wabernde Synthies aus. Es gibt keine Gitarren, keinen Gesang oder sonstige Ablenkungen oder Abwechslung. Cortini schafft es dabei, eine schöne und verträumte Atmosphäre zu schaffen, die bei Songs wie „FIAMMA“ definitiv unterhält und einlädt, die Kopfhörer ein wenig lauter zu drehen. Daneben gibt es allerdings auch einige Songs, die schnell in Vergessenheit geraten und auch bei mehrmaligem Durchhören nicht haften bleiben wollen. Wer Musik sucht, die neben stupider Büroarbeit laufen kann, ohne dass es die selbe Radioplaylist (mit dem Besten der 80er, 90er und von heute) sein soll und bei der es auch Spaß macht, dann doch einmal genauer hinzuhören, könnte hier ein perfektes Album gefunden haben. Es tut nicht weh und ist zurückhaltend genug, um es laufen zu lassen, aber tiefgründig und vielschichtig genug, um nicht uninteressant zu sein.
Wäre "SCURO CHIARO" ein Filmscore, wäre es vermutlich ein begeisterndes Werk dieser Zunft. Die Idee, über die Melodien eine dramatische Geschichte abzuspielen, klingt verlockend und würde sicherlich sehr gut funktionieren, sodass Alessandro Cortini seinem Ziehvater Trent Reznor (zumindest in Sachen Synthesizerliebe) ein wenig gefährlich werden könnte, wenn es um den nächsten Preis für die beste Filmmusik geht. Alleinstehend lässt es allerdings ein paar Lücken offen, die zwar durch die stärkeren Tracks teilweise ausgeglichen werden, aber ein "Scappa" oder "Everything Ends Here" fehlt und auch die durchgängig hohe Qualität eines Albums wie "Avanti" erreicht es eben nicht. Trotz all dieser Kritikpunkte ist "SCURO CHIARO" ein sehr gutes Album des Genres und eignet sich hervorragend für einen Abend auf der Couch oder ein ruhigen Spaziergang durch den Wald. Und wer echte Synthesizer mit ihrem warmen und nicht immer perfekten Klang mag, sollte diesem Album ohnehin eine Chance geben.
Wertung
Seit "Avanti" erwarte ich immer wieder, von Cortini genauso überrascht zu werden und werde jedes Mal ein wenig enttäuscht, ohne dass die Alben wirklich schlecht sind. So auch bei diesem Werk. Es ist gut gemacht und für Fans von Synthiemusik vermutlich ein Traum. Für mich leider nur schöne Hintergrundmusik.
Johannes Kley
Kolumnist und Konzertmuffel Joe ist Gesundheits- und Krankenpfleger in Bochum, liebt seinen Hund, liest leidenschaftlich gern, gibt ungern Bewertungen für Alben ab, ist Musikliebhaber, irgendwo zwischen (emotional) Hardcore, Vaporwave, Goth-Pop und Nine Inch Nails und versorgt euch unregelmäßig mit geistigen Ergüssen aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt.