Slime und "3!+7(hoch1)": Blick nach vorne, trotz dem was ist
10.08.2025 | Mark Schneider

Das letzte Album von Slime, "Zwei", erschien im Jahr 2022. Slime hatten zuvor ein neues Bandmitglied in der durchaus relevanten und den Sound einer Band prägenden Position am Gesang vorgestellt: Tex Brasket. Nicht selten bedeutet dieser Punkt die Entstehung eines Band-Überbleibsels, das um jedes bisschen Anerkennung kämpfen muss. Auch "Zwei" klingt dementsprechend komplett anders als die ohne Übertreibung teils legendären Alben im Vorfeld und war eine Art Geschichtensammlung des neuen Sängers. Es ging unter anderem um das Leben auf der Straße und darum, erst einmal in die neue Rolle als Frontmann einer berüchtigten Punkrockband hinein wachsen zu müssen ("Lieben müssen"). Tex hat sich von Anfang an textlich komplett geöffnet und das in einer Direktheit, die uns an manchen Punkten erst einmal Schlucken ließ. "Zwei" schlug ein, läuft bei mir bis heute immer wieder rauf und runter und hat Slime zumindest für mich viel präsenter gemacht als es in der Zeit vor Tex der Fall war. Wo es Leute in meinem Umfeld mit der Meinung "Seit die den Sänger getauscht haben, ist das doch nicht mehr das gleiche" gibt - bin ich erst so richtig drin. Das zweite Album seit Beginn dieser neuen Ära der Band ist nun ein gänzlich anderes: Slime legen den Fokus nicht mehr hauptsächlich auf Tex und seine ganz persönlichen Geschichten, sondern den Finger unter anderem auch wieder ganz direkt in die Wunde namens Gesellschaft (was nicht heißt, dass diese auf "Zwei" als problemfrei dargestellt wurde).
"3!+7(hoch1)" knüpft in Sachen Aggression an den Vorgänger an. Tex' Gesang klingt dauerhaft so, als würde er uns jedes Wort nahezu entgegen spucken wollen. Wer Gefallen an diesem Sound der Band gefunden hat, kann an dieser Stelle also beruhigt weiter lesen: Daran hat sich nichts geändert! Mit hier nicht zitierten Kraftausdrücken wird auch auf "3!+7(hoch1)" nicht gespart und sowohl die Wortwahl als auch die Art des Transports dieser Worte bleibt laut, bleibt gereizt, bleibt wütend.
Die Perspektive der Inhalte auf "3!+7(hoch1)" drehen Slime nun einmal um. Wo "Zwei" sich um die Gedanken und Gefühle eines lyrischen Ichs gedreht hat, zeigt bereits der Opener "Armes Deutschland" mit dem Finger auf eben dieses. "Uns kriegst du nicht mehr los!" ist ein Statement: Slime bleiben hartnäckig sowie unbequem und denken noch lange nicht daran, die Ist-Situation mundtot hinzunehmen. Das darf auch gerne nach dem ersten Titel schon allen klar sein. Ein ganz starker und eingängiger Refrain folgt bereits in "Euch will ich sehen", ein Songber, wie aufgeschmissen Viele wären, wenn sich die Welt von heute auf morgen ändert, Trinkwasser zu "Plörre" wird, weil die Kläranlagen nicht mehr funktionieren oder es aufgrund von ausgefallener Elektrizität wieder darauf ankommt zum Beispiel Feuer machen zu müssen. Wir werden bequem und das kann uns zum Verhängnis werden. Es geht wieder um die große, weite Welt und um all das, was darin in den Augen dieser Band schief läuft. Der Mikrokosmos Straße, in dem große Teile des Vorgängeralbums stattfanden, weicht nun wieder ganz direkt dem großen Ganzen. Auch "Evolution" stellt die Entwicklung unserer Spezies mehr als nur in Frage. Die letzte Steinzeit ist zum einen noch gar nicht so lang her, und zum anderen nicht mehr allzu weit weg. Zumindest, wenn wir allesamt so weiter machen.
Wo man nun vermuten könnte, dass einer Band wie Slime nach so vielen Jahren langsam die Ideen ausgehen könnten, bringt Tex Brasket ein zweites Mal als zeitlich jüngstes Mitglied der Band unglaublich viel Input mit. Sei es ein Song darüber, was man auf dieser Erde alles noch erleben und sehen könnte ("Rotterdamn"), "Generalstreik" mit seinem selbsterklärend für den Inhalt stehenden Titel oder "Bock auf Leben" als trotz aller Umstände mutiger Blick nach vorne: Nichts auf diesem Album wirkt lückenfüllend. Schmunzeln musste ich auch bei "Irgendwas mit Saufen", der auf den ersten Blick wie eine Ode an das Trinken wirkt, auf den Zweiten aber auch als Kritik an Saufliedern als Verkaufsgarant verstanden werden darf. Das hat man inhaltlich bei Schmutzki ("Sauflied") schon einmal gehört, die "Woooohs" im Refrain singt man trotzdem auch hier schneller mit als einem vielleicht lieb ist. Auch "Irgendwas mit Freundschaft in irgendeinem Scheißkaff" ist uns als Textzeile doch allen bestens bekannt. "Zeit zu gehn" beschließt dann ein Album, welches als zweites Werk in der Ära Slime mit Tex Brasket an den Standard des Vorgängers anknüpfen kann. Ein breites Themenspektrum gepaart mit aggressiver Wortwahl. Gefällt!
Wertung
Lange darauf gefreut und dann zum Glück so gar nicht enttäuscht worden. Entgegen vieler Meinungen um mich herum gefällt mir persönlich die Kombination aus dieser Band und ihrem neuen Sänger einfach besser als es zuvor der Fall war. Nur die Angst vor Krauftausdrücken sollte man beim Konsum von "3!+7(hoch1)" vorher abgelegt haben. Da einige der Titel vor allem live funktionieren werden, wird es bei mir aber auch langsam Zeit für das erste Konzert von Slime. Die Tickets dafür liegen bereits in der Schublade.
Wertung
Slime liefern erneut ein relevantes und starkes Album ab, dem Sänger Tex Brasket stimmlich einen ganz besonderen Ausdruck verleiht. Der gesellschaftliche Blick, der inhaltlich dieses Album prägt, ist scharfsinnig, zynisch, wütend und einfach Punk. Schon beim Vorgänger "Zwei" wurde mir deutlich, dass Slime den Wechsel im Bandgefüge für neue expressive Songs nutzen. Und auch live haben sie mich mitgerissen, da sie auch ihren gesamten Backkatalog authentisch und mit einer enormen Energie spielen können. Die Songs "3!+7(hoch1)", auf dem Album schon wuchtig, werden auf der Bühne mit Sicherheit noch mal potenziert.

Mark Schneider
Mark kommt aus der wunderschönen, ländlichen Provinz zwischen Siegen und Marburg an der Lahn. Ob kleine Acts im Club oder Musikgiganten vor Tausenden: Besucht wird, was laut ist und Spaß macht! Dabei sind im Genre (fast) keine Grenzen gesetzt.