Sabrina Carpenter und “Man’s Best Friend”: Are you offended?
06.09.2025 | Nataly Sesic

Wir werden über das Cover sprechen, versprochen. Erstmal geht es aber um die Musik. Und es lohnt sich, über die Musik zu sprechen, denn: Man mag über Carpenter sagen was man will – und das Internet hat einiges dazu zu sagen – man kann ihr nicht anlasten, es fehle ihr an Talent.
“Man’s Best Friend” startet stark mit “Manchild”, der Single, die schon ihre tausend Runden online gedreht hat. Ich muss zugeben, ich konnte der Single anfangs nichts abgewinnen. So unfair es ist: Lieder, die sofort von TikTok verramscht werden, haben bei mir nur selten eine Chance. Ich finde, man kann hören, wenn Lieder so produziert werden, dass man 3-6 Sekunden rausziehen und unter Videos legen kann, um Streams zu farmen. Anfangs dachte ich, dass “Manchild” dazu gehört.
Im Kontext des Albums gewinnt das Lied jedoch enorm: Fulminante Vocals, charmante Country-Pop-Instrumentalisierung und Carpenters einzigartiges Augenzwinkern machen das Album. Voreingenommenheit wird ein kontinuierliches Thema sein, das sich durch das Album, und Carpenters Karriere allgemein, ziehen wird.
Schon bevor “Man’s Best Friend” angekündigt wurde, hat Carpenter das Album auf Instagram geteasert, als sie bei einer Live durch einen Stapel an Schallplatten gegangen ist – Donna Summer, ABBA, Dolly Parton, und siehe da, eine Platte von ihr selbst. Die musikalische Idee hinter “Man’s Best Friend” war von Anfang an klar: Das Album sollte Pop mit Soul und Funk verbinden und Carpenters Idole, darunter Dolly Parton und Linda Ronstadt, ehren. Ich behaupte, dass Carpenters Zusammenarbeit mit Dolly Parton am Remix von “Please Please Please” das Album insbesondere beeinflusst hat. Ich sehe Parton an jeder Ecke und Kante von “Man’s Best Friend”; sowohl musikalisch als auch in Sachen Attitüde.
Viele, die Parton nur als süße Country-Omi von heute kennen, wissen nicht, wie frech sie schon immer war. Parton kam mit viel Keckheit dank ihrem netten Akzent davon, aber sie hatte es schon immer faustdick hinter den Ohren (weswegen ich sie übrigens verehre). Carpenter vereint viele Eigenschaften von Parton in sich, und ich bin mir sicher, beide Frauen wären über den Vergleich hocherfreut.
Das Album glänzt durch gut produzierte, griffige Popsongs, die man ebenso gut im Hintergrund laufen lassen, um sich an der Instrumentalisierung zu erfreuen, wie man über mit den Lyrics vergnügen kann, die oft zum Losprusten lustig sind. Carpenter hat ihre Nische gefunden und sie macht eine herausragende Figur darin. Es ist tragisch, dass ihr Talent vom zwanghaften (und an vielen Stellen erzwungenen) Diskurs über sie und ihre Musik überschattet wird.
Als das Cover rauskommt, kann ich über die Aufregung nur die Augen rollen. Die Leute, die sich darüber aufregen, dass eine Frau in ihren 20ern Haut zeigt, ignoriere ich sowieso. Aber die Kritik vom vermeintlich gegenüberliegenden Lager – Carpenters Cover sei unfeministisch, da es explizit-misogyne Ikonographie nachbildet – hat mich stutzig gemacht. Zum Einen bin ich immer wieder genervt, dass Künstlerinnen dazu gezwungen sind, den Gipfel des selbstkritischen, oft selbstgeißelnden Feminismus in ihrer Kunst umzusetzen, da wir das nicht ansatzweise von männlichen Künstlern erwarten. Ich sage nur The Weekend oder Drake. Zum Anderen finde ich die Kritik, es sei zu nah an Real-Sexismus dran, um als Parodie durchzugehen, medienkritisch schwach.
Wenn man sich das Cover anschaut – und keine zwei Sekunden nachdenkt – sieht man in der Tat das Bild einer jungen Frau (Carpenter) auf allen Vieren, die von einer gesichtslosen, hochgewachsenen Person an den Haaren gehalten wird, und an deren Beinen “kratzt”, wie es ein Hund – eben “man’s best friend” – machen würde. Sind wir als Onlinegemeinschaft dermaßen unfähig zu Medienkritik, zur Interpretation von Bildmetaphern und sozial-kulturellen Einordnung von bekannten Motiven, dass wir so etwas sehen und es für bare Münze nehmen? Ich schätze, wenn man der jeweiligen Künstlerin sowieso schon nicht positiv gegenüber steht und Fehler an ihr finden will, dann ist das sicher einfach. Wer jemals ein Lied von Carpenter gehört, einen Ausschnitt ihrer Konzerte gesehen, ein Wort aus ihrem Munde vernommen hat, weiß, dass das Cover eine gezielte Provokation ist, eine Einladung dazu, sich aufzuregen. Beginnend mit dem Titel. Die schlauen Medienkritiker:innen im Internet sehen “Man’s Best Friend” und schreien, es sei unterwürfig und männergeil.
Leute. Sie nennt sich selbst eine Bitch. Eine Hündin. Man’s Best Friend.
Get it?

Die Ikonographie erinnert stark an den Film “Secretary” (2002), eine schwarze Komödie, in dem es um eine BDSM-Beziehung zwischen einer jungen Frau und ihrem Chef geht. Man könnte sagen, in Carpenters Album geht es an vielen Stellen auch um ein Spiel von emotionaler Dominanz und dem ungleichen Machtgefälle zwischen (in diesem Fall) Mann und Frau. Es ist einfach anzunehmen, dass die Person im Anzug, die Carpenter an den Haaren zieht, ein Mann ist. Das wissen wir zwar nicht, aber Carpenter spielt hier gezielt mit wiedererkennbaren Motiven, die emotionale statt logische Reaktionen fördern.
Sie will, dass sich Menschen aufregen. Die alternativen Cover waren keine Panikreaktion, wie manche vermuten. Sie hatte allesamt schon fertig geschossen und Carpenter hat sie nach und nach veröffentlicht und sich dabei die Hände gerieben, während in den Kommentarspalten die Welt unterging. Ich sage es ganz ehrlich: Medienkritik geht online echt vor die Hunde. Man verzeihe mir den Wortwitz, den ich hoffentlich nicht auch erklären muss.
Aber Nataly, sagt die selbstkritische Stimme in meinem Kopf. Macht es nicht Sinn darüber zu diskutieren, ob Carpenter sich öffentlich so sexualisieren sollte? Ob Outrage Farming wirklich eine stabile Karrieregrundlage ist? Zum ersten Teil: Nö. Ich habe überhaupt kein Interesse daran, einer 26-jährigen Frau zu sagen, sie soll sich was anziehen. Und es ist ja nicht so, als würde man sie nicht sexualisieren, wenn sie jeden Abend im Rollkragenpullover auf der Bühne stehen. Sie performt nicht für den “Male Gaze”. Sie ist einfach eine junge, hübsche Frau, die von Männern angeschaut wird. Es ist nicht in ihrer Verantwortung, wie und was welchen Gründen sie angegafft wird. Sie hat offensichtlich Spaß an ihren Shows, ihren glitzernden Kostümen, den wilden Juno-Positionen. Wer bin ich, ihr den Spaß verderben zu wollen?
Ich behaupte gegenteilig, dass ihre Musik – und insbesondere ihre Konzerte – sehr auf Frauen ausgelegt sind, angefangen bei der Pyjama-Party-Ästhetik und weiter in Carpenters abendlichem Spiel, bei dem sie hübsche Mädels auf dem großen Monitor “festnimmt”. Wer behauptet, sie macht das für männliche Aufmerksamkeit, muss mal ganz tief in sich gehen und sich fragen, warum alles, was eine Frau macht, zwangsläufig im Dienste von Männern sein soll. Das ist ein kulturelles Problem, aber sicher nicht das Problem von Sabrina Carpenter.
Zum Thema Outrage Farming bin ich noch unentschlossen. Carpenters Geschichte ist eine, die man in der Musikindustrie oft sieht: Eine talentierte Künstlerin, die scheinbar plötzlich überall anzutreffen ist, jede Menge Awards abräumt und TikTok mit Soundclips zumüllt. Hinter diesem “plötzlichen” Erfolg stehen 15 Jahre Arbeit, in denen kaum jemand den Namen “Sabrina Carpenter” kannte – außer die Leute, die es einfach nicht lassen können, in jede Kommentarspalte zu schreiben, dass sie Carpenter ja lange vor “Espresso” kannten. So richtig auf die Bildfläche kommt Carpenter 2021, nicht etwa mit ihrer Musik, doch als vermeintliche Antagonistin einer Dreiecksbeziehung zwischen Teenagern. Olivia Rodrigo “driver's license" macht Carpenter als “that blonde girl” zur ultimativen Bösewichtin des Internets, zu einem Zeitpunkt, wo wir sowieso alle drinnen gefangen waren und nichts besseres zu run hatten. Dass Rodrigo nie ein negatives Wort über Carpenter (oder andersrum) verloren hat, ist egal. Das Internet lebt von Drama.
Es überrascht also nicht, dass Carpenter den Weg des Social Outrage gewählt hat, um ihre Karriere, die schon jahrelang auf Sparflamme vor sich hin lief, ordentlich zu befeuern.
Carpenter ist clever und macht das alles nicht erst seit gestern. Sie ist seit Kindheitstagen in Hollywood unterwegs, tanzt, singt, schauspielert, arbeitet auf den großen Durchbruch hin. Dieser kommt ungeplant mit dem Song einer anderen Künstlerin, und der Entscheidung, die Route des augenzwinkernden Vamps weiterzuverfolgen. Ich halte Carpenter für äußerst kalkuliert. Sie ist ein modernes Showgirl, unerreichbar, schillernd, unehrerbietig – denn es ist sie, die angebetet wird, nicht andersherum. Wer Carpenter tief in ihrem Inneren ist, werden wir vielleicht nie erfahren – und es geht uns auch ehrlich gesagt nichts an.
Ich wünsche ihr, dass ihre Karriere lang und erfolgreich ist. Wir brauchen mehr selbstbewusste Showgirls und weniger pseudo-feministische Selbstgeißelung.
Beste Tracks: Never Getting Laid, House Tour, When Did You Get Hot?, Go Go Juice
Wertung
“Man’s Best Friend” erinnert an Weißwein-Abende mit guten Freundinnen, bei denen man sich über ätzende Exen und Affären der Vergangenheit aufregt. Herzschmerz, der einst zu Tränen geführt hat, wird zum Schauplatz für Lacher und Umarmungen; Trauer wird zu Freude in den Armen der Frauen, die uns auffangen. Davon will ich mehr sehen, in meinem Leben, in den Medien, auf der Welt. Und wer sich von dem Album offended fühlt: Lach doch mal! Du siehst viel hübscher aus, wenn du lächelst.

Nataly Sesic
Unter Freund:innen weiß man: Wenn du neue Musik auf die Ohren brauchst, fragst du Nataly. Als Maximalistin im wahrsten Sinne des Wortes liebt sie „too much“: sei es Pop der 2010er, Rock der 80er oder mysteriöse Subgenres irgendwo zwischen tumblr und Totalausfall; Nataly hat dazu eine Meinung - und sicher einige Fun Facts parat. Wenn sie nicht gerade auf einem Konzert ist, macht Nataly die Hallen ihrer Universität unsicher, schreibt oder liest Bücher oder hat selber die Gitarre in der Hand.