Revolverheld und "20": Wir sind keine Kinder mehr
03.09.2025 | Nataly Sesic

Revolverheld kam für mich exakt zur richtigen Zeit: 2005 war ich gerade 11 Jahre alt und auf der Suche nach Musik, die mehr Ecken und Kanten hat als Sarah Connor. In den USA hat Muse gerade "Hysteria" rausgelassen, in Deutschland mussten wir uns mit "Durch den Monsun" zufriedengeben. Und da ich viel zu neidisch auf Bills Lidstrich war, um Tokio Hotel zu hören, musste ich meine Mukke woanders suchen.
Enter Revolverheld mit ihrem gleichnamigen Album. "Freunde bleiben" holt mich vollständig ab, da ich als 11-jährige natürlich exakt nachempfinden kann, worum es da geht. 20 Jahre später fühl ich "Freunde bleiben" leider extrem, aber das ist nicht die Schuld von Revolverheld.
Über zwei Jahrzehnte hinweg macht sich die Band einen Namen im Deutschrock: 1Live Krone ernennt Revolverheld 2006 zu den besten Newcomern, 2008 wird die Single "Helden" zum offiziellen Nationalmannschafts-Fan-Song zur Fußball-Europameisterschaft, 2014 gewinnen sie den Bundesvision Song Contest. Die Jungs waren fleißig; jetzt planen sie, eine Pause einzulegen, um die kreativen Batterien wieder aufzuladen. Es sei ihnen gegönnt! Zuvor verabschieden sie sich mit "20", einem Jubiläumsalbum mit ihren schönsten Songs aus zwanzig Jahren, musikalisch neu aufgelegt.
Wisst ihr, was richtig unangenehm ist? Ein Album voller Vorfreude anmachen, nur um direkt bei den ersten Tönen die Stirn zu runzeln. Ich kenne die Musik von Revolverheld, und das seit 20 Jahren. Ich weiß, wie diese Songs original klingen. Und ich finde es super, wenn Musiker:innen sich bei ihren Best-ofs Mühe geben, statt nur alte Hits zusammenzufassen und sich des leichten Gelds zu erfreuen.
Hätten Revolverheld doch nur das leichte Geld genommen.
"Das kann uns keiner nehmen" hat was von einer Pianobar-Nummer. Etwas poppiger als ich es von dem Song kenne, aber gut. Uns wurde ein neues musikalisches Gewand versprochen und ich halte nicht verkrampft an der Vergangenheit fest. Es darf neu aufgelegt schon anders klingen.
Leider eskaliert es direkt beim nächsten Track – meinem Jugend-Favorit – "Freunde bleiben". Der bitter-triefende Rocksong, den ich 2005 richtig cool fand, verliert mit der neuen Instrumentalisierung jeglichen Biss und Charakter. Insbesondere im Refrain, wo die Melodie stark an die kostenlosen Tracks erinnert, die YouTuber:innen in den Hintergrund ihrer Videos legen, klingt das Lied nach einem schlechten Cover. Schlecht in dem Sinne, dass die neue Instrumentalisierung den Eindruck erweckt, dass das Lied gar nicht weiß, worum es geht. Es erinnert mich an sanften Akustik-Covern von "Dancing on my own" von Robyn, wobei klar ist, das die Künstler:innen gar nicht verstehen, wieso dieser traurige Song über Liebe und Verlust so fröhlich untermalt ist.
Spätestens mit Strophe 2, wo eine meiner liebsten Zeilen "Aber es gibt ja auch noch Telefon"; ein richtig verbitterter Kommentar, in Anbetracht der Situation, die im Lied umschrieben wird – die Partnerin erklärt ganz plötzlich die Beziehung für beendet und zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus – umgedichtet wird zu "Bis dahin likest du Reels auf Instagram" hovert mein Finger über dem "Aus"-Knopf. Instagram Reels in einem Rock-Song zu erwähnen ist nicht nur, wie die Kids heutzutage sagen, richtig cringe, sondern vermittelt die Zeilenänderung umso mehr den zuvor genannten Eindruck, dass der Sänger gar nicht weiß, worum es in dem Song geht, und warum der Kommentar bezüglich, man könne ja noch telefonisch in Kontakt bleiben, nachdem die Partnerin "einfach so" verzieht, so beißt. Dabei hat Sänger Johannes Strate meines Wissens nach das Lied selbst geschrieben.
Was machen wir hier eigentlich?
Der Eindruck zieht sich im restlichen Album fort. Um nicht durchgehend negativ zu sein – das macht mir auch überhaupt keinen Spaß – möchte ich die Stimme von Strate positiv erwähnen, welche sich über die Jahre hinweg noch schön entwickelt hat. Man hört eine Sicherheit in der Performance, die sicher mit der Routine und Erfahrung gekommen ist. Leider helfen die butterweichen Vocals ausnahmsweise nicht, sondern sind eher kontraproduktiv. Das Album hätte ganz dringend etwas Edge gebraucht, und sei es durch wackelige Vocals. Ich nehme, was ich kriegen kann.
Es ärgert mich, weil die Neuauflage eine sehr aktive Entscheidung der Band war. Denn, wie eingangs gesagt, hätten sie, wenn sie dringend ein Jubiläumsalbum wollten, auch einfach all die alten Songs 1 zu 1 neu releasen können. Ich frage mich, wieso sie das nicht getan haben. 2023 erklärt Manager Pino Brönner, es wäre für Revolverheld an der Zeit, den Reset-Knopf zu drücken. Im selben Jahr veröffentlichen sie "R/H/1", ein Album, "das es eigentlich nicht gibt". Die Band veröffentlicht die Platte ohne Labelanbindung und ausschließlich physisch oder als Download, gebündelt mit Konzertkarten und ohne Promo. Richtig coole Sache, wie ich finde, und passend zum Ethos der Band. "20" kommt dann wieder mit dem Label und klingt wie die Ukulele-Parodie einer Rockband.
Ich will die Jungs so dringend fragen, was sie sich bei "20" gedacht haben. Wieso haben sie die Instrumentalisierung so verweichlicht, wieso Textzeilen geändert? Wieso fehlt von "Mit dir chilln", einem ihrer größten Hits, jegliche Spur?
Ich habe ein Interview mit Revolverheld angefragt, weil mir diese Fragen Löcher in die Dioptrien brennen. Nach der Veröffentlichung meiner Rezension halte ich es für unwahrscheinlich, dass ich dieses Interview bekomme. Eventuell knallen mich die Jungs von Revolverheld auch einfach ab – was ich zugegebenermaßen richtig schön ironisch-lustig fände.
Der einzige neue Song auf dem Jubiläumsalbum ist der Closer "Henrik", ein emotionaler Song über den Krebstod eines Bekannten. Und hier ist endlich die Kante, die ich im restlichen Album verzweifelt vermisst habe. Es mag sein, dass ich persönlich viel Berührung mit dem Thema habe und es deswegen stärker widerklingt. Doch "Henrik" zeigt, wieso sich Revolverheld all die Jahre gehalten haben. Es ist leicht, Geschichten über Tragödien zuckrig zu verpacken und damit emotionale Tiefe zu fingieren. So, wie es den klassischen Oscar-Bait gibt, darunter Filme über den 11. September oder Hollywoods Lieblingsthema – Hollywood –, so gibt es das auch in der Musik, typischerweise triefende Songs über traurige Themen, wo man irgendwie ein Depp ist, wenn man es nicht super findet.
Genau das ist "Henrik" nicht. Es ist mitten aus dem Leben und fragend: Wie betrauert man einen Menschen, den man kaum kannte, der aber jetzt im Gesamtpanorama der Freundesgruppe fehlt?
Es frisst mich etwas an, wie gut "Henrik" ist. Das macht die dröge Instrumentalisierung des restlichen Albums umso schlimmer.
Wertung
Ich habe nichts Negatives zu Revolverheld zu sagen. Ich mag ihre originellen Alben, ich finde sie politisch und humanitär engagiert und zu "Mit dir chilln" kann man auch 20 Jahre später schön am Lagerfeuer sitzen. "20" ist ein für mich völlig unergründliches Album. "Henrik" ist leider das einzige Rettungsboot in einem Meer aus Konfusion. Schade Schokolade.

Nataly Sesic
Unter Freund:innen weiß man: Wenn du neue Musik auf die Ohren brauchst, fragst du Nataly. Als Maximalistin im wahrsten Sinne des Wortes liebt sie „too much“: sei es Pop der 2010er, Rock der 80er oder mysteriöse Subgenres irgendwo zwischen tumblr und Totalausfall; Nataly hat dazu eine Meinung - und sicher einige Fun Facts parat. Wenn sie nicht gerade auf einem Konzert ist, macht Nataly die Hallen ihrer Universität unsicher, schreibt oder liest Bücher oder hat selber die Gitarre in der Hand.