Deine Cousine und "Freaks": Oh, là, là!
21.05.2025 | Mark Schneider

Dass Deine Cousine als Liveband funktioniert und begeistert, ist nicht erst seit unserem Besuch in Wiesbaden in Stein gemeißelt. Wenn nicht gerade die Stimme zum Tourabschluss Probleme macht, bringen Ina und die Band eine unglaubliche Wucht auf die Bühne. Die große Kunst guter Livebands besteht jedoch seit jeher darin, auch auf dem Langspieler abzuliefern und damit die Basis für großartige Konzerte zu legen. Auf einem Album funktionieren Ansagen nicht, Mitmachaktionen und der (Körper-)Kontakt zum Publikum spielen keine Rolle. Hier müssen die Songs sitzen. Und zwar bestenfalls so, dass die Leute zahlreich auf den Shows auftauchen, um sich dort der genannten, gemeinsamen Ekstase hinzugeben. Diejenigen, die aber keine Konzertgänger*innen sind, wollen und sollen genauso Fans deiner Band sein, Merchandise sowie Tonträger kaufen.
In der Vergangenheit waren es dabei vor allem "St. Pauli" und "Scheiß auf Ironie", die aus Erfahrung auf Feierlichkeiten fast jeder Art funktionieren, ohne die eigenen Gäste zu vergraulen, wenn auch erst zu späterer Stunde. Im Gegenteil: Beide Titel habe ich erfolgreich im sozialen Umfeld etabliert. Später gesellten sich mit "Bielefeld, Paris oder Madrid", "Raus an dich" oder "Stärker als du denkst" neue Songs dazu, die Deine Cousine schon lange raus aus der reinen Punkrocknische befördert haben. In diesem Jahr stehen immerhin Rock am Ring und Rock im Park an. Passend dazu gibt es auf "Freaks" eine frische Rutsche Tracks, um die es jetzt auch endlich gehen soll.
"Ich bin niemand, der Männer hasst. Und mich hat sich auch kein Majorlabel ausgedacht!"
"Disclaimer" funktioniert wie eine kurze Erläuterung für Außenstehende, wofür Deine Cousine inhaltlich steht, mit welchen Vorurteilen sie sich auseinandersetzen muss und was die Allgemeinheit von ihr erwartet. "Die einen wollen deinen Kopf, die anderen dein Herz. Ist das jetzt noch Kunst oder einfach nur Kommerz?" lauten die Schlussworte dieses Songs, den die Band als einzigen unveröffentlichten auf der letzten Tour gespielt hat. Zum einen als Hilfe für diejenigen, die als Begleitung zur Show geschleppt wurden, aber vor allem auch als Vorgeschmack auf das, was "Freaks" musikalisch beinhaltet: Ausnahmslos wirklich gute, wenn auch durchaus verschiedene Titel.
"Allez, allez" eröffnet das Album schon auf ungewöhnliche Art und Weise. Wer es mit American Football hält, denkt aufgrund der Melodie zwangsläufig ans Arrowhead Stadium. Der Opener sticht aus dem Gros des Albums heraus und gehört zu den Titeln, die wie im Wiesbadener Schlachthof erlebt, live total anders wirken als in dieser Studioversion. Mit "Go Fuck Yourself" folgt dann die erste schnelle und eher typischere Nummer, die bereits seit einigen Wochen verfügbar ist und auch im Rahmen der Tour textsicher mitgefeiert wurde. Mit elektronischen Elementen untersetzt gelingt bereits im zweiten Titel ein Refrain, der das Potenzial hat, etwas länger im Kopf zu bleiben. Spoiler: Diese Aussage kann im Verlauf der folgenden zehn Songs noch öfter getätigt werden.
Als absolute Anpieltipps auf "Freaks" sind vor allem "1986 (Oh, là, là)" und "180 Grad" zu nennen. Beide erzählen klassischerweise aus der Ich-Perspektive aus dem Leben des "Mädchen mit dem Kleinstadtswag". "180 Grad" legt den Fokus dabei auf die Persönlichkeit, die sich zwar gerne innerhalb kürzester Zeit komplett ändern kann und trotzdem das Miteinander über alles andere stellt. "Kein Disneyland" fungiert als ebenfalls von der Band bekannte "So läuft das übrigens auf dem Kiez"-Nummer. Ein musikalisch starker Song, der thematisch mal wieder als Hymne auf St. Pauli verstanden werden darf, inklusive Narben, Junkies und Randale. Ich gebe dabei zu, die Zeile "Die Kids aus NRW fühlen sich high, weil man drinnen raucht" hat mich als NRWler unter dem Segen des Rauchverbots in Gaststätten zum Schmunzeln gebracht.
Wer die nötige Portion Gefühl sucht, findet dieses in "Keine Liebe verdient" sowie "Zweite Chance", die als die ruhigsten Nummern des Albums daherkommen. In diesen beiden kommt Inas Stimme noch einmal besonders zur Geltung und beide gönnen uns einen Moment Ruhe, um zum einen zu genießen und um uns zum anderen auf die jeweils folgenden, umso lauteren Nummern vorzubereiten. "Freaks" hat viel zu bieten und ist ein rundum gelungenes Album, das als eine gute Grundlage für den anstehenden Festivalsommer gesehen werden darf.

Mark Schneider
Mark kommt aus der wunderschönen, ländlichen Provinz zwischen Siegen und Marburg an der Lahn. Ob kleine Acts im Club oder Musikgiganten vor Tausenden: Besucht wird, was laut ist und Spaß macht! Dabei sind im Genre (fast) keine Grenzen gesetzt.