Dayseeker und “Creature In The Black Night”: Dead On Arrival
03.11.2025 | Nataly Sesic
  Als ich vor wenigen Tagen auf Instagram scrolle, fällt mir ein kurioser Post ins Auge: Dayseeker kündigt nur eine Woche vor Albumrelease eine Kooperation mit Dayglow, einem hippen LA-Café, an. Vom 24.10.25 (Albumrelease-Day) bis zum 02.11.25 kann man bei der jeweiligen Location eine Limited Edition Kaffeemischung gustieren. Am 02. November ist die Band dann vor Ort und signiert CDs. Promo-Aktionen wie diese sind nichts neues, und in der Pop-Welt haben Stars und Sternchen zuletzt regelmäßig Schlagzeilen durch Kaffee-Kooperationen gemacht – besonders erinnere ich mich an Sabrina Carpenter und “Espresso”. Das hat schön gepasst und Carpenter konnte wie am Band Sparwitze abfeuern. Mir ist nicht ganz klar, wieso ich einen Dayseeker-Kaffee schlürfen soll. Steht die “Creature In The Black Night” metaphorisch für einen Americano?
Musiker:innen sind dafür bekannt, sich für ihre Albenreleases kreative Marketingaktionen einfallen zu lassen. 2007 hat Nine Inch Nails zum Beispiel zur Veröffentlichung von “Year Zero” ein Alternate Reality Game für ihre Fans veranstaltet. The Flaming Lips haben ihren 24-Stunden-Song “7 Skies H3” als Memory Stick in einem menschlichen Schädel deponiert und an die Presse und Fans versendet. Und U2 haben 2014 mit “Songs Of Innocence” bekanntlich den einen oder anderen iPhone-Speicher überfüllt.
Ich sage nicht, dass alle Werbeaktionen erfolgreich sind.
Doch zurück zu Dayseeker und ihrem neuen Album, “Creature In The Black Night”.
Nachdem Pierce The Veil mit “So Far So Fake” einen viralen Hit landen konnten, haben Dayseeker mit dem Titeltrack auch einige Wellen auf den sozialen Medien geschlagen. Die Vorfreude in der Szene war groß, denn die Singles schafften es, eine schöne Brücke zu den vorhergehenden Releases zu schlagen, ohne zu nah am Vormaterial orientiert zu sein.
In den verschiedenen Metal- und Core-Genres scheint sich die Diskussion darüber, wie sehr Künstler:innen ihren Stil weiterentwickeln dürfen, im Kreis zu drehen. Wie schafft man es, eine Balance zu halten – schließlich möchte man die Fans weder mit alten Kamellen langweilen noch mit zu vielen Experimenten abschrecken. Die Singles (“Pale Moonlight”, “Creature In The Black Night”, “Shapeshift”, “Crawl Back To My Grave”) boten bereits einen Vorgeschmack für die neue alte Richtung von Dayseeker, und wurden gut aufgenommen. Seit dem 24.10.25 steht nun das vollständige Album auf Abruf bereit. Pünktlich am Freitag morgen lade ich mir das Album herunter und beginne mit meiner Hörreise.
Was mir nach wiederholtem Anhören auffällt, ist eine sich durch das Album ziehende Gleichförmigkeit, sowohl thematisch als auch musikalisch. Die Motive des Todes, des Teufels, der Sucht und des metaphorischen Blutsaugers (also jemand, der den Protagonisten ausnutzt) tauchen immer und immer wieder auf, und das leider nur selten in Variation.
Die Wiederholung von Kernthematiken ist an sich kein Negativpunkt; viele Alben fokussieren sich auf ein Thema, ein Motiv, vielleicht eine Person oder einen Umstand. Konzeptalben leben davon, immer wieder denselben Nukleus zu umkreisen. Jedoch dient dieses metaphorische Kreisen in der Regel der näheren Betrachtung des Kerns.
Nimmt man zum Beispiel – zugegebenermaßen genrefremd – die Musik von Taylor Swift her, erzählt jedes Album im Großen und Ganzen (mit wenigen Ausreißern, die jedoch auch Teil des Gesamtmosaiks sind) die Umstände einer Liebesgeschichte oder eines Lebensabschnitts. Das jedoch immer wieder aus neuen Blickwinkeln, oft im Sinne einer Timeline der Beziehung oder explizit in Revue. So wird dasselbe Thema zwar immer wieder aufgegriffen, und doch in verschiedenen Facetten gezeigt – so bleibt es interessant. Storytelling, nicht Wiederholung.
Auf “Creature In The Black Night” ist das Dayseeker nicht ganz gelungen. Viele der Tracks scheinen ein- und dieselbe Geschichte zu erzählen, ohne eine neue Perspektive darauf zu bieten oder weitere Details zu teilen. Da die Lieder auch im Großen und Ganzen musikalisch die gleiche Spur verfolgen, entsteht weder textliches noch ästhetisch variiertes Storytelling. Wenn man es hart ausdrücken möchte – was mich schmerzt, denn ich mag Dayseeker sehr – entsteht der Eindruck, es wären schlichtweg die Ideen ausgegangen. Die Singles – “Pale Moonlight”, “Creature In The Black Night”, “Shapeshift” und “Crawl Back To My Grave” – sind zweifellos die Standouts auf dem Album und, auch nach wiederholtem Hören und mit der Ausnahme von “Soulburn” (wenn man ganz gnädig ist auch “Bloodlust”, dank des netten Übergangs zwischen den zwei Songs), die einzigen Lieder, die hängen geblieben sind.
Auf Social Media erzählt Sänger Rory, wie viel ihm die Platte bedeutet und wie viel emotionale Katharsis hinter dem Songwriting steckt. Die Kommentare sind durchweg positiv, mit wenigen Meinungen, die sich meiner anschließen. Ich denke, das zeigt nur wieder, dass Meinungen zu Kunst sehr unterschiedlich sind, und etwas, das für mich generisch wirkt, eine andere Person mitten ins Herz trifft. Rory bezeichnet die Songs von Dayseeker als eine Art Tagebuch für ihn, eine Chance, seine innersten Emotionen auszudrücken. Wenn man Dayseeker schon live gesehen hat, spürt man diese Emotion auf jeden Fall, es entsteht nicht der Eindruck, dass es gespielt ist.
Das gibt mir zu denken – wieso connecte ich als großer Dayseeker-Fan überhaupt nicht mit der Platte? Wieso fühlt sich diese vermeintliche Katharsis für mich völlig leer an?
Letzten Endes haben wir als Hörer:innen auch keinen Anspruch auf einen ungeschönten, detailreichen Bericht über das innere Leben von Künstler:innen. Manche Songwriter:innen beschreiben ihre emotionalen Schieflagen in schier schmerzhaftem Detail – zum Beispiel Jordan von La Dispute. Das macht die Hörerfahrung sehr intensiv und intim, aber auch in vielerlei Hinsicht schwer. “King Park” ist kein Song, der beim Sport im Hintergrund läuft.
Andere Songwriter:innren entscheiden sich für eine stärkere Metaphorik, undurchsichtigerer Sprache. Das macht die Emotion nicht weniger intensiv, doch oft wird dadurch eine gewisse vierte Wand kreiert. Man kann sich im Gefühl verlieren, oder auch eben nicht.
Vielleicht haben wir mit “Creature In The Black Night” einfach ein Beispiel, wo dasselbe Thema immer wiedergekäut werden musste, damit man es endlich loslassen kann. Vielleicht verändert das nichts an der emotionalen Intensität und Authentizität. Schließlich betont Rory immer wieder, wie emotional die Platte für ihn ist.
Oder vielleicht schwindeln die Leute auf Social Media. Soll ja vorkommen.
Nun fällt mir auf, dass ich in vielen meiner aktuellen Albumkritiken anmerke, dass die Tracks der jeweiligen Künstler:innen an mir vorbeizulaufen scheinen wie Wasser. Das ist natürlich ein besorgniserregender Trend, für mich als Musik-Liebhaberin, aber auch als Kritikerin. Ich habe keinen Spaß daran, Kunst mit einem Schulterzucken zu quittieren. Ganz zu schweigen davon ist “meh” ein schier unmöglich interessant in einem Artikel zu beschreibendes Gefühl.
Wo liegt das Problem? Bin ich in letzter Zeit unvernünftig kritisch? Hat sich die Prophezeiung erfüllt und ich bin unweigerlich zu einem Snob geworden, der nichts zu schätzen weiß, außer die Klassiker? Oder sind Muster der aktuellen Musikszene, die ich zuvor immer wieder in Sprinklern gesehen habe, nun nach mehreren Wiederholungen schlichtweg unignorierbar geworden?
Was mir im schon zuvor zitierten Video über die Entstehung des Albums auffällt, ist, dass Rory den Produktionszyklus, also das Jahr, das Dayseeker damit verbracht hat, das Album aufzunehmen, als lang bezeichnet. Von seinen Worten entsteht der Eindruck, dass man sich mit “Creature In The Black Night” ausgiebig Zeit gelassen hat. Das fand ich kurios.
Natürlich gibt es unterschiedliche Richtwerte, wie lange man braucht, um ein Album aufzunehmen. Es kommt auf zahlreiche Faktoren an, darunter die Verfügbarkeit von Studios, die Anzahl an Musiker:innen und mehr. Doch ein Jahr ist sicher keine Ewigkeit, vor allem in den Heavy Genres, wo sich Musiker:innen auch gerne mal Dekaden geben, um ein neues Projekt zu starten. Betrachtet man die Timeline an Albenrelease von Dayseeker, so hatte die Band seit 2013 einen sehr beständigen Output von einem Album alle zwei Jahre. Einzig der Übergang von “Sleeptalk” (2019) zu “Dark Sun” (2022) dauerte drei Jahre; nun liegen zwischen “Replica” und “Creature In The Black Night” nur ein Jahr. Dayseeker sind seit 2017 bei Spinefarm unter Vertrag, es scheint also keinen Wechsel im Hintergrund gegeben zu haben, der die Band dazu zwingen sollte, etwas auf die Tube zu drücken.
Mir scheint vielmehr, als seien Dayseeker, wie viele andere Bands, Opfer der in den letzten Jahren immer schlimmer werdenden Kurzweiligkeit zu sein, die in der Musikindustrie zum Standard wird. Künstler:innen sind dazu gezwungen, mit rapider Geschwindigkeit zu veröffentlichen, virale Wellen zu reiten damit sie ja nicht “in Vergessenheit” geraten. Bei manchen der Alben, die in letzter Zeit quasi spurlos an mir vorbeigegangen sind, ist eben das auch mein Gefühl gewesen: lieber schnell das Album veröffentlichen, bevor niemand mehr darauf wartet.
Man spürt, dass die Geschwindigkeit von Releases – seien es Alben oder EPs – vor allem außerhalb von Major Labels angezogen hat; ein trendweisender Effekt der Attention Economy, die maßgeblich beeinflusst, wie wir alle Medien konsumieren und Geld ausgeben. Für mich entsteht der Eindruck, dass Künstler:innen nicht mehr den Raum haben, um ihre Werke atmen zu lassen – schließlich möchte man auf keinen Fall in der Versenkung verschwinden, was heute schneller denn je passiert. Vielleicht – und das ist meine Meinung, beziehungsweise das Gefühl, das ich an manchen Stellen bei “Creature In The Black Night” hatte – hätte man dem Album unter anderen Umständen nochmal eine Runde mehr geschenkt.
Die Singles funktionieren, sie sind musikalisch und textlich ansprechend, Rory macht stimmlich eine gute Figur. Die Albumtracks dagegen fühlen sich an vielen Stellen wie Füllmaterial an. Sicher hätte mich das Album schon mehr abgeholt, wenn die Trackliste etwas gemischter gewesen wäre. Die vier Singles direkt am Anfang zu platzieren, kreiert eine schiefe qualitative Gewichtung. Das Album startet stark und driftet dann recht schnell ins Nichts. Hätte man “Shapeshift” und “Pale Moonlight” stattdessen mittig und gegen Ende platziert, hätte das Album einen deutlich solideren Spannungsbogen und der Qualitätsfall würde wahrscheinlich überhaupt nicht auffallen.
Schade eigentlich.
Best Tracks: Die Singles
Wertung
Dayseeker liefern mit “Creature In The Black Night” soliden modernen Metalcore. Das Album bietet keine besonderen Ausreißer und wird in ihrer Diskographie weder besonders hervorstehen noch die Qualität bedeutend mindern. Wenn ich das Album in einem Wort beschreiben müsste, dann “OK” – nicht ausgezeichnet, nicht schlecht, nicht oben, nicht unten. Die Heavy- und Alternative-Szene bietet viele Beispiele für Bands, die (kurz- oder langfristig), das was sie besonders macht, abgelegt haben, um kommerziellen Erfolg zu haben. Fall Out Boy haben drei Alben veröffentlicht, die einfach Trendchasing waren, um mit “So Much (for) Stardust” zu ihren Wurzeln zurückzukehren, nachdem sie genug Geld gescheffelt haben. Ich habe Dayseeker nicht abgeschrieben, aber ich weiß jetzt schon, dass außerhalb der Singles keiner der Albumtracks je Platz auf meiner Daily Playlist finden wird.
Nataly Sesic
Unter Freund:innen weiß man: Wenn du neue Musik auf die Ohren brauchst, fragst du Nataly. Als Maximalistin im wahrsten Sinne des Wortes liebt sie „too much“: sei es Pop der 2010er, Rock der 80er oder mysteriöse Subgenres irgendwo zwischen tumblr und Totalausfall; Nataly hat dazu eine Meinung - und sicher einige Fun Facts parat. Wenn sie nicht gerade auf einem Konzert ist, macht Nataly die Hallen ihrer Universität unsicher, schreibt oder liest Bücher oder hat selber die Gitarre in der Hand.