VAN HOLZEN und “Solang die Erde sich dreht”: Unausweichlich
12.09.2025 | Kai Weingärtner

Wofür viele Künstler:innen eine komplette Karriere brauchen (und oft dann noch daran scheitern) scheint für Van Holzen das Natürlichste der Welt: dass jedes neue Album auch immer eine neue Klangwelt eröffnet, ohne aber den Stil der Band zu verwaschen oder ihre Identität zu verlieren. Das, soviel vorweg, gelingt dem mittlerweile in Berlin beheimateten Trio auch mit Album Nummer vier wieder geradezu mühelos. Spannend ist in diesem Zyklus allerdings, dass die Öffentlichkeit die Genese dieses neuen Sounds über die Jahre ein Stück weit mitverfolgen durfte. Schon auf den fünf alleinstehenden Singles, die über das Jahr 2023 hinweg das Licht der Welt erblickten, lassen sich einige Entwicklungen erkennen, die nun auch “Solang die Erde sich dreht” prägen. Angefangen von der unterkühlten Ästhetik der Cover, über den trockenen Mix bis hin zur Kollaboration mit befreundeten Künstler:innen, all das ist nun auch in der ein oder anderen Form Teil des Albums.
Neben den Feature-Gästen (dazu später mehr) ist eine der auffälligsten Neuerungen die Art und Weise, wie Sänger und Gitarrist Flo seine Stimme einsetzt. Da sind immernoch diese tiefen, eindringlich-stoischen Melodien, die schon “Anomalie” ausgemacht haben, siehe zum Beispiel “GUT GENUG”, aber Flo spielt auf “Solang die Erde sich dreht” auch immer wieder mit anderen Klangfarben, auf “GEDANKEN NEU” bricht er am Ende einiger Zeilen immer wieder in eine hohe Kopfstimme aus, den Album-Closer “AM SCHLUSS” ziert dann eine gewisse Lethargie, die die melancholische Gleichgültigkeit des Songs perfekt untermalt. Durch diese Ausbrüche gewinnt das Album ungemein an Dynamik. Die braucht es auch, um die vielen verschiedenen Themen, die die Platte aufmacht, zu würdigen. Flos Texten reichen von einer augenzwinkernden Hymne über die Quarter-Life-Crisis (“25”) über den Hals-über-Kopf-verliebten “SÜCHTIG” bis zur nervösen Unbehaglichkeit des bereits erwähnten “GUT GENUG”, und wechseln dabei nahtlos von der Innen- zu Außenwahrnehmung. Dass das Album an dieser thematischen Vielfalt nicht ausfranst, ist dem eingangs bereits erwähnten Sound geschuldet, den die drei Musiker hier in jedem Takt heraufbeschwören. Egal wo die Geschichten hinführen, es fühlt sich immer ganz klar nach “Solang die Erde sich dreht” an. Wer also ob der 2023er Singles die Sorge entwickelt hat, Van Holzen hätten den Gefallen am Konzept Album verloren, kann entspannt aufatmen.
Auch die beiden Gastbeiträge von Heisskalts Mathias Bloech (“HIMMEL”) und Lance Butters (“GUT GENUG”) bereichern den Kosmos der Platte ungemein. Gerade Lance Butters vollzieht in seinem Feature-Part einen Perspektivwechsel, der die gesamte Thematik des Songs nochmal ein Stück weit auf den Kopf stellt, die Perspektive wechselt und das Gefühl, das er vermittelt, deutlich greifbarer macht. Auch Lance Stimme und Rapstil passen hervorragend zum flackernden Gitarrennoise, mit dem Van Holzen das Feature untermalen. Heisskalt wiederum sind gleich in zweierlei Hinsicht auf “Solang die Erde sich dreht” vertreten, denn Phil Koch a.k.a. kidney paradise ist auch auf dem vierten Album neben Flo selbst wieder als Produzent involviert. Da überrascht es kaum, dass Matzes Feature sich so nahtlos in “HIMMEL” einfügt. Über kratzige Bässe schrauben sich gläserne Gitarrenflächen in den Namensgeber des Songs und brechen in einem Scherbenhagel – irgendwo zwischen Schmerz und Erleichterung – zusammen. Als vorletzter Track der Platte ist “HIMMEL” gleichzeitig das letzte Aufbäumen, bevor Van Holzen uns mit “AM SCHLUSS” kontemplativ und trotzdem irgendwie versöhnlich wieder in die Welt entlassen. Die dreht sich unentwegt weiter, daran kann auch dieses Album nichts ändern, aber Van Holzen schaffen es zumindest, ihre unausweichliche Rotation für 40 Minuten etwas zu verlangsamen.
Wenn ihr wissen wollt, wie sich der Prozess von “Solang die Erde sich dreht” für die Band selbst angefühlt hat, dann checkt gerne unser Gespräch mit Flo und Daniel in der aktuellen Folge des Plattensprung-Podcasts aus.
Wertung
Ich kann gar nicht genau meinen Finger darauf legen, was mir an “Solang die Erde sich dreht” so gut gefällt. Und vielleicht ist es genau das, was diese Platte für mich ausmacht. Ich möchte immer wieder reinhören, immer in der Hoffnung, etwas Neues zu entdecken. Van Holzen finden hier eine schöne Balance aus Kryptik und Unmittelbarkeit, die sich auch hier wieder in einem wahnsinnig konsistenten Soundgewand manifestiert.

Kai Weingärtner
Kai studiert zur Zeit mehr oder weniger erfolgreich Politikwissenschaft und Anglistik in Osnabrück. Da man damit natürlich keinerlei Aussichten auf einen “vernünftigen” Job hat, ist er nun bei Album der Woche angeheuert um sich seine Zukunft als Taxifahrer etwas aufzulockern. Sein Musikgeschmack umfasst alles, was E-Gitarre und Schlagzeug hat oder anderweitig Krach macht.