Wu-Tang Clan und "Black Samson, the Bastard Swordsman": Das Ende des Mythos
13.06.2025 | Hermann Breitenborn

‘How can HipHop be dead if Wu-Tang is forever’ ist das Mantra, das HipHop Heads seit dem Release des 97er Albums ‘Wu-Tang Forever’ immer wieder vorgebetet haben. Nun kam der Wu-Tang Clan ein letztes Mal zusammen, um sein letztes Album ‘Black Samson, the Bastard Swordsman’ zu veröffentlichen - und die Reaktion vieler war: Was? Die gibt's noch?
Es gab aber mal eine Zeit, da war der Wu-Tang Clan das Alpha und Omega der Rapszene. Was sie mit ‘Enter the Wu-Tang’ anno 93 auf die Welt losgelassen haben, war nichts geringes als eine Revolution, die bis heute nachbebt. Die enigmatischen wie stylischen Mitglieder der Crew verschmolzen zu einem oder - um es mit Method Man zu sagen - “they formed like Voltron”. Und über allem stand das W. Dieses ikonische Logo des Clans, halb Buchstabe halb Fledermaus, überstieg Ende der 90er den Fame der einzelnen Mitglieder an sich und zierte im Rahmen der Veröffentlichung von ‘Wu-Tang Forever’ das Cover des einflussreichen Source Magazines - ohne auch nur ein Konterfei der Rapper mit abzubilden.

Gleichzeitig wurde das sofort erkennbare Logo auf Klamotten gedruckt, an Wände gesprüht oder mit Edding auf jede zweite Schulbank gemalt. In den späten 90ern und frühen 2000ern war Wu-Tang buchstäblich überall.
Mittlerweile sieht es anders aus. Die Rap-Szene hat sich verändert und auch der Clan hat diversifiziert: Videospiele, Filme, Serien (Wu-Tang - An American Saga - besonders Staffel 2 - zählt wohl zum fettesten, was ich seit langem im Serienformat gesehen hab), Schauspielkarrieren und natürlich nach wie vor Kleidung sind wohl nur die sichtbarsten Einkommensquellen. Vor kurzem wurde unter relativ großem Hype der Nike Wu-Tang Dunk neu aufgelegt, der original 1999 streng limitiert (man munkelt zwischen 36 und 100 Paaren) erschien.
Aber der Riesenhype auf Musik von Wu-Tang wie vor 25 Jahren? Muss man ehrlich sagen, der ist vorbei. Zehn Jahre ist es auch schon wieder her, dass sie mit ihrem Album ‘Once upon a time in Shaolin’ Schlagzeilen machten und gleichzeitig ein Statement für die Kunst setzten. Denn nicht nur Walter Benjamin machte sich Gedanken über das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, sondern auch the RZA. Von besagtem Album wurde nur eine einzige Platte produziert und meistbietend versteigert - dass sie dabei an den überaus unangenehmen Pharma-Bro Martin Shkreli ging, ist nur eine von vielen Stories, die sich um diesen Release ranken. Eine andere wäre, dass im Kaufvertrag dem Wu-Tang Clan eingeräumt wurde, dass sie einmalig versuchen dürfen, das Album zurückzuklauen und dass bei diesem Bruch nur aktive Mitglieder des Clans mitmachen dürfen…und Bill Murray. Ich schweife ab.
Die Ankündigung eines neuen Wu-Tang Albums in 2025 vermochte dennoch Köpfe zu verdrehen. Sei es aus wirklich ernst gemeintem Interesse oder um einfach mal die Frage zu stellen: Was, die machen noch Musik?
Gleichzeitig ist es bittersüß, vor allem für mich als Wu Head, denn es ist wie gesagt der Abgesang, das vermeintlich letzte Wu-Tang-Album. ‘Black Samson, the Bastard Swordsman’ erschien weltweit am 25.04.2025. Ist der Lack ab, die Farbe verwaschen wie bei meinem klassisch-blauen Hoodie mit Wu-Print? Finden wir's raus.
Das bereits angesprochene Logo hat noch eine andere, für das Album wichtige Bewandtnis. Entstanden ist es Anfang der 90er und wurde von Mathematics gestaltet, der dafür auf seine Graffiti-Erfahrungen zurückgreifen konnte. Er war also bereits von Anfang an im Wu-Tang Dunstkreis unterwegs, war bei Konzerten Live DJ, hatte RZA als Mentor und er war es auch, der dieses Album produziert hat (wie u.a. schon ‘The Saga Continues’ von 2017).
Und das war schon der erste Knick in meiner Vorfreude auf dieses Grande Finale - denn wie gern hätte ich nochmal ein Wu-Tang Album aus den Händen von RZA gehabt? Aber sei's drum. Sowohl Albumtitel als auch Tracklist machten das wieder gut, denn hier ist man vermutlich tief in RZAs persönliche Videothek abgetaucht. Das Sample-Game vom Wu-Tang Clan ist bis heute sowieso unerreicht - von Anfang an waren die Beats durchzogen von Zitaten aus (schon damals alten) Kung Fu-Filmen. ‘Black Samson, the Bastard Swordsman’ besteht bereits aus zwei Filmtiteln - einem Blaxploitation- und einem Kung Fu-Film. Die Songliste steht dem in nichts nach, jeder Titel stammt vermutlich von den Spines aus RZAs gut sortierter Videosammlung. Wir finden Black Cinema Klassiker wie ‘Mandingo’, ‘Cleopatra Jones' und ‘Dolemite’ gleichberechtigt neben ‘Shaloin VS Lama’ und ‘Executioners from Shaolin’. Dass die Clan-Mitglieder Filmnerds sind, war noch nie ein Geheimnis, aber in diesem Umfang und so deutlich wurde es dann doch noch nie. In einem Q&A haben sie sich auch zu der Bedeutung der Filme für ihre Musik geäußert, jedoch waren die Aussagen eher vage und beliefen sich größtenteils darauf, dass es die Filme sind, mit denen sie aufgewachsen sind. Vielleicht kann ich soviel schonmal mal vorwegspoilern: bis auf die Songtitel und 1, 2 Anspielungen haben die Songs nach meiner Beobachtung keine tiefere Connection mit den Filmen. Auch warum gerade ‘Black Samson' und ‘The Bastard Swordsman’ für den Titel gewählt wurden, erscheint mir etwas willkürlich.
Das Album wird eröffnet mit einer Wu-typischen Ansage. In ‘Sucker Free City’ (ein Spike Lee-Film im Original) ist es wieder Mathematics der uns auf das Kommende einstellt. Ganz wie schon RZA in ‘Wu-Tang Forever Intro’ (Track 1 auf der überlegenen CD 2) wird versucht klarzustellen, für wen die Folgenden 11 Tracks sind und wer so alles dabei ist, bevor es übergeht in den ersten richtigen Song ‘Mandingo’. Dieser war auch bereits die erste Singleauskopplung im Vorfeld. Vielleicht darf ich hier erneut etwas spoilern, denn das letzte Wu-Tang-Album erreicht hier bereits seinen Höhepunkt. Es ist der einzige Track, bei dem richtiges Wu-Tang-Feeling aufkommt und das obwohl wir nur Raekwon, Inspectah Deck, Method Man und Cappadonna zu hören bekommen. Doch auch hier geht es nicht ohne Wermutstropfen vonstatten, denn das mit Single-Auskopplung veröffentliche Musikvideo ist komplett KI-generiert, was dem Ganzen einen faden Beigeschmack gibt - RZA war wahrscheinlich zu sehr mit seinem neuen Film ‘One Spoon of Chocolate' zu beschäftigt.
‘Roar of the Lion’ steigt dann mit einer starken Bass-Line ein und hat mit Kurupt eins der vielen namhaften Features an Bord, aber der Funke, der in ‘Mandingo' noch da war, will so richtig nicht überspringen, auch wenn U-God und RZA hier ihren Einstand auf dem Album geben.
‘Claudine’ ist pianolastiger und stimmt etwas melancholischere Töne an, vor allem durch den Gesangspart von Nicole Bus. Die Rap-Parts von Method Man und Ghostface Killah sind routiniert, aber ähnlich wie der Beat plätschert es eher dahin, als dass es wirklich knallt. ‘Shaolin VS Lama’ beginnt mit den Kung Fu-Samples, die den Wu-Tang Clan zu dem gemacht haben, was er ist. Der Beat kann diese Energie aber nur bedingt aufnehmen und zu den Parts von Raekwon und Inspectah Deck überleiten. ‘Executioners from Shaolin’ folgt demselben Schema, hier fühlt sich das Sample-Intro aber noch weniger als Teil des Ganzen an. Hier tritt zum ersten Mal GZA in den Ring, doch sein Part ist ziemlich unterwältigend und warum ständig Scratches drunter gemischt wurden, erschließt sich leider auch nicht so recht. Es soll der einzige Wortbeitrag von GZA auf dem Wu-Tang-Finale bleiben. Der Übergang zum nächsten Track ‘Cleopatra Jones’ ist fließend und der erneut klavierlastige Track hat ein ganz witziges Konzept: Raekwon und Masta Killa rappen der titelgebenden Dame (dem gleichnamigen 1973er Film mit Topmodel Tamara Dobson nachempfunden) ein Ständchen. Ganz nett, aber insgesamt auch nicht sonderlich spannend.
‘Warriors Two, Cooley High’ startet ebenfalls vielversprechend: Christopher Walkens Monolog aus ‘King of New York’ wird auf Wu-Tang und Griselda - das Record Label von Feature-Artist Benny the Butcher - umgemünzt. Ein bisschen kommt das Gefühl eines klassischen Wu-Tang-Skits auf, die auch immer Markenzeichen der Alben waren. Neben Benny the Butcher ist noch Method Man auf dem Track vertreten und es ist ein kleiner Lichtblick. Der Beat ist finster und hat Druck. Bennys erste Strophe hat Flow und baut den Track gut auf, bis Wu-Tang-All Star Method Man das Mic nimmt. Hier bringt er auch eine der aussagekräftigen Lines des ganzen Albums: “Ayy, RZA, who made them millions off that one seller?/And even better, who made they millions off one letter?”
Selbstreflektiert bringt er in zwei Lines hier auf den Punkt, wofür ich meine ganze Einleitung gebraucht habe - hat schon seinen Grund, dass ich kein Rapper geworden bin und Method Man kein Musikjournalist. Dass der Track zu den stärkeren des Albums gehört, war dem Clan sicher auch klar, denn er wurde nach Mandingo zur zweiten Singleauskopplung - mit einem genauso unsäglichen AI-Musikvideo. Die Revolution wird kommen und dann sagt nicht, dass John Connor und ich euch nicht vor künstlicher Intelligenz gewarnt haben.
‘Let's do it again’ geht ehrlich gesagt von Anfang an auf die Nerven. Ein Sample kündigt gleich vier Mal am Anfang an, dass es eine “World Premiere” ist und bringt uns dann 3 Features und ein RZA-Part auf einem Beat, der eine Spieluhr aus der Horrorfilmkiste geholt hat. RZA zeigt seine klare lyrische Dominanz gegenüber der Gast-Rapper, bevor der Song im letzten Viertel komplett in einen Gesangspart übergeht. Der wahrscheinlich schwächste Track des Albums mit hoher Skip-Wahrscheinlichkeit. ‘Dolemite’ geht klanglich in die Richtung von ‘Warriors Two, Cooley High’, hat ein paar starke Samples im Beat und Cappadonna, U-God und Masta Killa liefern routiniert ab, wobei wahrscheinlich der U-God-Part am ehesten heraussticht - aber wirklich rausreißen kann dieser Song es auch nicht mehr.
Auf ‘Trouble Man - Outro' war ich äußerst gespannt, als die Tracklist angekündigt wurde. Zum einen, weil ‘Trouble Man’ mit Robert Hooks einer der coolsten Blaxploitation-Filme überhaupt ist.
Und zum anderen, weil nach diesem Outro noch ein weiterer Track auf dem Album ansteht - nennt mich altmodisch, aber für mich ist ein Outro der letzte Song. ‘Trouble Man - Outro’ hätte vieles sein können, allerdings ein einfaches Gesangsstück von Feature-Artist Kameron Corvet habe ich auch nicht erwartet. Um das Album doch noch mit einem Rap-Song abzuschließen, bekommen wir im Anschluss noch ‘Charleston Blue, Legend of a Fighter’. Doch auch im letzten Track glänzen die Wu-Tang Gründungsmitglieder durch Abwesenheit, neben Nicole Bus für den Gesangsteil und Gastrapper KXNG Crooked darf uns Cappadonna verabschieden, der selbst erst seit ‘8 Diagrams’ offizielles Mitglied des Clans wurde. Und somit sind die letzten beiden Lieder, die (vermutlich) je auf einem Wu-Tang Album zu hören sein werden, ebenfalls eher enttäuschend. Man sollte meinen, der Abschluss einer Saga, eines unglaublich einflussreichen Kapitels der Rap-Geschichte, einer der einflussreichsten Supergroups des HipHop, ginge etwas imposanter zu Ende. Oder melancholischer. Oder lustiger, irgendwas. Noch ein letzter Skit, ein letzter Dialogfetzen einer der legendärsten Rap-Crews überhaupt. Aber ein solches Ende fühlt sich irgendwie leer, fast falsch an. Natürlich hat niemand ernsthaft ein neues ‘Enter the Wu-Tang' oder ‘Wu-Tang Forever’ erwartet. Doch wenn sich diese einmalige Truppe aus Staten Island zu einem letzten Ritt versammelt, hätte es episch werden müssen und das ist ‘Black Samson, the Bastard Swordsman’ leider nicht. Es bleibt die Aura, dieses Kollektiv an Rappern, das mittlerweile in alle möglichen Formen von Kunst, Kultur und Business ausgedehnt ist. Und natürlich das Wu-Tang-Symbol, das wie das Batman-Symbol in den HipHop-Himmel strahlt und hoffentlich noch weitere Generationen prägen wird.
Wertung
Das Album hätte ein grandioser Abschluss werden sollen für eine Crew, die HipHop grundlegend geprägt und verändert hat. Leider sind die beiden Singleauskopplungen 'Mandingo' und 'Warriors Two, Cooley High' die einzigen Tracks, bei denen so etwas wie Wu-Feeling aufkommt - und das ist einfach zu wenig. Zum Glück gibt es noch genügend andere mediale Auskopplungen aus dem Wu-Universum zum hören, sehen und spielen.

Hermann Breitenborn
Hermann ist Videoredakteur im Miniatur Wunderland und Co-Host des Podcasts Ja, hier…Filme. Vom Kleidungsstil hängen geblieben irgendwo zwischen 1985 und 2005 geht es bei ihm musikalisch auch meistens nostalgisch zu, wobei von leise bis zu laut alles dabei sein darf.