Natalys Jahresrückblick 2025
30.12.2025 | Nataly Sesic
Neuentdeckung des Jahres
Für viele ist TikTok ein weiterer Online-Dämon, der Kinder, Kunst und Industrie verdirbt. Ich kann nicht sagen, dass ich dem widerspreche. Während der Pandemie habe ich die App für ganze 2 Tage runtergeladen, nur um in einem derart brutalen Sog zu landen, dass ich mich fühlte, als hätte ich meinen eigenen "Leaving Las Vegas"-Arc hinter mir. Hier herzliche Grüße an Nicolas Cage. Ich habe die App sofort von meinem Handy geworfen und nie wieder angesehen.
So leicht ist es dann aber doch nicht, dem TikTok-Monster zu entkommen, und so entdeckte ich viel, was auf der App schon Wochen zuvor auf und ab lief, danach auf Instagram Reels. Viel davon war unterhaltsam, noch mehr davon ärgerlich. Doch musikalisch brachten mich die Kurzvideos in Verbindung mit mehr als eine:r Künstler:in, die ich dieses Jahr enorm gefeiert habe. Ganz oben mit dabei: Jutes.
Jutes, oder, wie ich ihn unverschämt nenne, der Ehemann von Disney-Sternchen Demi Lovato, ist Anfang des Jahres mit seinem Album "Sleepyhead" auf meine "For You"-Page gespült worden. Seitdem habe ich das Album hunderte Male gehört und bestimmt noch öfter empfohlen. Irgendwo zwischen Emo Rock und Deftones-Core trifft Jutes bei mir genau den richtigen, düster-verführerischen Ton.
Album des Jahres
Neben Jutes und "Sleepyhead" haben mich dieses Jahr noch zwei weitere Alben geprägt.
"No One Was Driving The Car" von La Dispute ist meine zweite "10" in einem Jahr voller hochkarätiger Alben. La Dispute belegen einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen (wie ihr später noch lesen könnt) und so wusste ich schon bei den ersten Anschlägen von "No One Was Driving The Car", dass die Band einen neuen Klassiker kreiert hat. Wer mich zu "Environmental Catastrophe Film" im Penny hat heulen sehen – I'm sorry/You're Welcome.
Der zweite Favorit geht in eine ganz andere Richtung: "Starting Over" von Nevertel war ein Fest für mein 2000er-Emoherz. Das Album hat mir riesig Spaß gemacht. Ende des Jahres durfte ich Nevertel auch noch live sehen und fotografieren – die Fotos sind wegen schwieriger Lichtbedingungen katastrophal geworden, aber ich hatte jede Menge Spaß. You win some, you lose some.
Was für ein schöner Leitsatz für das komplizierte Jahr 2025.
Konzert des Jahres
April 2025 war ein toller Konzert-Monat für mich. Anfang des Monats zog es mich nach Köln und in die Lanxess Arena, wo ich endlich, nach vielen Jahren in der Fangemeinschaft, Chase Atlantic live sehen konnte. Chase Atlantic fällt gefühlt etwas aus meiner klassischen Playlist raus, doch ich liebe diese F-Boys aus Australien einfach. Fragt mich nicht, wieso, hört lieber in "Swim" rein.
Während ich bei Chase Atlantic am Feiern war, kochte im Hintergrund das Schicksal sein eigenes Süppchen. Seit einigen Monaten versuchte ich, ein Ticket für die ausverkaufte Show von Catch Your Breath in München zu ergattern. Als mir die Tickets im Artist Pre-Sale angeboten wurden – für gerade mal 25 Euro – habe ich den Kauf naiv auf die Zukunft verschoben. Und so kam es, dass die Karten innerhalb kürzester Zeit ausverkauft waren. Blöd gelaufen.
Über Monate hinweg beobachtete ich den Fansale auf Eventim. Einmal ergatterte ich fast ein Ticket, nur um in letzter Sekunde von jemandem mit Glasfaser-Internet ausgestochen zu werden. Bis Mitte April hatte ich die Hoffnung aufgegeben.
Und dann kam die E-Mail: Ein Fansale-Ticket für Ihre Veranstaltung ist verfügbar. Ich loggte mich ratzfatz ein. Und tatsächlich: ein Ticket für Catch Your Breath, für nur 35 Euro. Die anderen Fansale-Verkäufer:innen haben die Preise deutlich höher angesetzt, und ich war so verzweifelt, dass ich auch mehr bezahlt hätte. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Eine Woche später stand ich bei Catch Your Breath in der ersten Reihe. Glück gehabt!
Musik-Wichteln
Nataly Sesic
Der liebe Moritz hat mir als Musik-Wichtelgeschenk das Album "12 Song Program" von Tony Sly zugeschustert. Fans von Pop Punk, Punk Rock und Akustik wird dieser Name sicher ein Begriff sein: Der tragisch jung gestorbene ehemalige Sänger und Lead-Gitarrist von No Use For A Name hinterlässt fast 30 Jahre Musik, als er 2012 im Alter von 41 von uns geht. Jeder, der Tony kannte, betrauert den frühen Tod eines genialen Songwriters, Gitarrentalents und guten Freunds. Das Tribute-Album, das auf seinen Tod folgt, sammelt zahlreiche Bands aus und außerhalb des Genres, die sich gebührend von ihrem Freund und Kollegen verabschieden wollen. Darunter: NOFX, Alkaline Trio, Simple Plan, Gaslight Anthem, Teenage Bottlerocket, Yellowcard, Rise Against und viele mehr.
Ich höre das Album auf dem Weg nach Hause für Weihnachten, begleitet von diesen zweischneidigen Gefühlen von Trauer und Liebe. Obwohl "12 Song Program" reichlich wenig mit Weihnachten zu tun hat, ist es doch ein überraschend passender Soundtrack für die Zeit. Mal beschwingt, mal nachdenklich, immerzu begleitet von einem Gefühl der Vergänglichkeit, das mich dazu zwingt, den Moment zu genießen, wenn sturere Impulse an negativen Gefühlen festhalten wollen.
Musik ist bekanntlich, was man daraus macht, und gute Musik trifft einen dort, wo man steht. An diesem 23. Dezember erinnere ich mich an Tony und all die Musik, die er hinterlassen hat. An die Kunst, durch die er weiter lebt.
Enttäuschung des Jahres
Wer mich kennt, weiß, dass ich ein großer Sleep Token-Fan bin. Seit ich die Band 2023 entdeckt habe, war ich auf sieben Konzerten und habe zwei Tattoos mit Lyrics gestochen bekommen. In diesem Moment, während ich diese Zeilen tippe, trage ich meinen geliebten weinroten Sleep Token-Hoodie, der schon so oft gewaschen wurde, dass er kaum noch Oversize ist. Oder anders gesagt: Ich find die Band schon ganz gut.
Umso mehr traf mich der metaphorische Blitz, als ich das neue Album "Even In Arcadia" endlich in den Händen hielt und irgendwie... nicht mochte? Die Lieder an sich waren gut, produktionstechnisch wie musikalisch schön, wie auch die vorhergehenden Projekte. Die visuelle Komponente gefiel mir auch bestens. Doch Vessel in seinem rituellen Pelzumhang und Maske von "Prada" singen zu hören, stieß mir sofort sauer auf.
Sleep Token hat sich stets zwischen Genres bewegt und sich reichlich an elektronischen Elementen bedient, doch der weitgehende Wegfall der, wie ich finde, ikonischen Drums in vielen der Lieder, hinterließ ebenso einen faden Beigeschmack. Nach zahlreichen Diskussionen, ob Sleep Token Metal ist oder nicht, befinde ich mich mit "Even In Arcadia" plötzlich auf einer neuen Seite. Letzten Endes könnte ich mit einem Genreshift bestens leben, doch die inhaltliche Ebene macht mir Bauchschmerzen. Ich will nie ein Fan sein, der Künstler:innen vorschreibt, über was und wie sie schreiben "dürfen". Die Lieder auf "Even In Arcadia" sind im Großen und Ganzen wieder schön geschrieben – auch wenn das Wort "Provider" in mir Alpha-Male-Trad-Wife-Fieberträume auslöst. Doch das Besondere an Sleep Token war für mich stets die Mystik der Band. Die Kostüme, die kryptisch-poetischen Songtexte, das gesamte Branding von Sleep Token hat mich auf einer völlig neuen Ebene angesprochen. Ich meine: "Vore" vergleicht eine einnehmende toxische Beziehung mit einem Fetisch, bei dem der/die Partner:in mit Haut und Haaren gefressen wird. Das ist starke Metaphorik. Ich bin nicht umsonst in kürzester Zeit zum Superfan geworden.
Doch wenn wir nun mit Sleep Tokens Musik in die reale Welt gehen, "Piano Man" und Luxusmarken zitieren – wozu dann noch die Masken, die dramatischen Shows, die mystische Sprache rund um die Band? Kunst und Branding muss für mich zusammenpassen, sonst fühlt es sich schnell aufgesetzt an. Und für mich ist "Even In Arcadia" ein erster Warnschuss, dass diese Mystik, die mich initial angezogen hat, zu reiner Ästhetik verkommt.
Schönstes Interview
Dieses Jahr hatte ich die Ehre – und das ist weder geschleimt noch zu viel gesagt – mit Jordan von La Dispute sprechen zu dürfen.
Die Musik von La Dispute hat mich durch schlaflose Nächte und die großen und kleinen emotionalen Momente begleitet, die ein menschliches Leben ausmachen. Ich war reichlich nervös, jemanden zu interviewen, der in meinem Leben so bedeutend war, aber das Gespräch war genau so, wie ich es mir vorgestellt habe: ehrlich, mal emotional, mal lustig und lang. Jordan und ich sind beide Autor:innen, das merkt man unter anderem daran, dass keiner von uns es je gelernt hat, sich kurz zu fassen.
Am Ende des Gesprächs bedanke ich mich nochmal mit lautem Herzklopfen bei Jordan: für die Musik, die Momente, dieses nette Interview. "I had a really good time growing up with you," sage ich. Er grinst: "And I had a really good time growing up with you."
Mein Herz geht jedes Mal auf, wenn ich daran denke. Darum geht es doch in unserer Arbeit. Die Menschen.
Fotografie-Fortschritt
2025 war in vielerlei Hinsicht ein bedeutendes Jahr für mich. Neben dem Start meines Master-Studiums und der Arbeit für Plattensprung habe ich dieses Jahr auch zum ersten Mal ernsthaft meine Kamera in die Hand genommen.
Meine Sony Alpha 6300 ist seit einigen Jahren meine treue Begleitung, doch, mit der Ausnahme ein paar kreativer Ausbrüche hier und da, habe ich mich ihr nie so gewidmet, wie sie es verdient hätte.
Der Wunsch, Konzerte zu fotografieren, begleitet mich schon länger, doch ich habe den Traum stets in die stillen Stunden zwischen Tag und Nacht verschoben, Schließlich gibt es da draußen zig ausgebildete Fotograf:innen und ich bin nur eine Pappnase mit einer Kamera. Das reicht nicht.
Oder?
2025 entschied ich mich – vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben – dass Freude es wert ist, dumm und unvorbereitet und unfähig auszusehen. Ich nahm meine Sony in die Hand und erzählte Freund:innen und Bekannten von meinem Wunsch. In kurzer Zeit hatte ich Aufträge als Fotografin. Das war gut und schlecht: Gut, weil es mir zeigte, dass ich meine Wünsche laut aussprechen muss, und Chancen dann auf mich zukommen würden. Schlecht, weil ich absolut noch nicht bereit war. Wusstet ihr, dass Kameras auch RAW fotografieren und nicht nur JPEGs produzieren? Richtig wild!
Seitdem habe ich schier pausenlos fotografiert. Unzählige YouTube-Videos geschaut. Lightroom gelernt. Photoshop-Zugänge bei meiner Freundin Jana geschnorrt (herzliche Grüße an dieser Stelle). Heute weiß ich, was ein RAW ist und kann dieses sogar retuschieren. Ebenfalls richtig wild.
Ein Vergleich Anfang versus Ende 2025:

Nataly Sesic
Unter Freund:innen weiß man: Wenn du neue Musik auf die Ohren brauchst, fragst du Nataly. Als Maximalistin im wahrsten Sinne des Wortes liebt sie „too much“: sei es Pop der 2010er, Rock der 80er oder mysteriöse Subgenres irgendwo zwischen tumblr und Totalausfall; Nataly hat dazu eine Meinung - und sicher einige Fun Facts parat. Wenn sie nicht gerade auf einem Konzert ist, macht Nataly die Hallen ihrer Universität unsicher, schreibt oder liest Bücher oder hat selber die Gitarre in der Hand.