Flo von Versus Goliath: Neue Wege
17.10.2025 | Nataly Sesic
  Auf die Frage, wie Versus Goliath mit dem Thema Genre umgeht, antwortet Flo mit einem langen Seufzer. “Wir gehen damit gar nicht um,” sagt er lachend.
Die Entscheidung zum Genre-Mash war nicht bewusst. Flo kommt originell aus der Hip Hop-Szene; dort hat er sich am Mic stets am wohlsten gefühlt. Bandkollege Andreas (Gitarre, Keyboard) kommt dagegen aus der Rock-Richtung, während Schlagzeuger Jonas für alles offen ist. Das Genre hat sich sozusagen gefunden, statt erwählt zu werden.
Flo findet das gut; für ihn ist es spannend, (Genre-)Grenzen auszureizen auch mal zu übertreten. Das haben sie auf “Wüstenland” an vielen Stellen bewusst getan. “Das ist die Magie der Musik,” sagt er. Und das will er sich nicht nehmen lassen.
Gleichzeitig betrachtet Flo Genre mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Sie wären sicher erfolgreicher, oder hätten es zumindest einfacher erfolgreich zu sein, wenn sie sich ihre Nische suchen und da bleiben würden. Schließlich wird unsere Welt inzwischen von Papa Algorithmus beherrscht. Und Papa will wissen, was Kunst ist und wie man diese am besten mit Hashtags versieht.
Für Versus Goliath war das Release-Konzert von “Wüstenland” gleichzeitig das längste Set, das sie je gespielt haben. Zuvor verstanden sich die Münchener als der “Warm Up”; an diesem Abend im Feierwerk München waren sie die Headliner – und wollten den Leuten eine richtige Show bieten.
Flo ist selbstkritisch und nachdenklich. Er sei nicht zufrieden mit dem Licht gewesen. Hier und da hätte ein Cue nicht ganz gesessen. Er fragt sich, ob nicht mehr Leute hätten kommen sollen.
Ich im Publikum habe von diesen Unsicherheiten nichts gemerkt. Um mich herum: lächelnde Gesichter, Familienmitglieder und Freund:innen in “Versus Goliath”-Shirts, Neugierige, die spontan vorbeigekommen sind, und da zu Fans wurden.
Das Künstler:innen-Dasein wirkt magisch auf der Bühne, erhellt von Spotlights, gehebelt von Applaus. In der Indie-Szene wird die Magie zu oft von existentiellen Magenschmerzen begleitet. Man möchte alles richtig machen und sich doch nicht selbst verlieren – ob das in der hart umkämpften Musikbranche überhaupt noch möglich ist?
Flo gibt zu, dass sie relativ selten in München spielen, obwohl sie selbst aus München kommen. Die Szene und Kultur gebe es nicht her, sagt er. Die Leute sind da, Fans und Künstler:innen bieten München und das bayerische Umland zu Genüge an. Was fehle, sagt er, sei die Infrastruktur.
Betrachtet man zwei der wichtigsten Szene-Clubs, in denen Rock und Metal geboten wird – das Backstage Kulturzentrum und das hier bespielte Feierwerk – fällt schon auf, dass beide Locations am Rande der Stadt liegen. Da geht man hin, wenn man weiß, worauf man sich einlässt – nicht ganz spontan auf einen Drink. Die Clubs, in denen Versus Goliath spielt, wenn sie im Norden auf Tour sind, sind vielleicht nicht so groß wie das Feierwerk, aber sie liegen zentral, sind gut besucht – und bieten Sichtbarkeit für Szene und Musiker:innen. In München scheint Subkultur Bierzelt, Gastronomie und Weinausschank weichen zu müssen, so der Eindruck.
Der Wunsch nach guten Locations und vollen Pits ist nicht unbedingt hochtrabenden Rockstar-Allüren geschuldet – es geht wie so oft ganz banal um die Wirtschaftlichkeit. Als Indie-Musiker ohne großes Label im Rücken liegt es an einem selbst, Konzerte möglich zu machen. Und das heißt ganz oft: Geldbeutel aufmachen.
“Selbst wenn’s nicht darum geht, wahnsinnig viel Geld damit zu machen…Draufzahlen sollte man nicht am Ende des Tages,” sagt Flo. Und da müssen sich Musiker:innen auf Szene, Publikum und Stadt als Rückhalt verlassen können.
Das Album “Wüstenland” ist, für Versus Goliath untypisch, akustisch am Piano entstanden. Flo ist an die Hip Hop-Produktionsweise gewohnt, bei welcher über ein bereits fertiggestelltes Instrumental getextet wird. Diesmal hat man sich intimer mit dem Zusammenspiel von Text und Melodie beschäftigt.
Ein eröffnendes Stichwort der neuen Platte ist Angst. Darunter die Angst, die von außen geschürt wird, von Systemen, die sich an Angst, oder auch dem bloßen Gefühl des Unwohlseins, bereichern. Das beginnt bei bunten Zuckerpillen, welche die perfekte Figur versprechen, geht über Clickbait und endet dann zu oft in radikalisierter Politik.
Gleichzeitig sagt Flo ganz klar, dass Angst nicht das Überthema von “Wüstenland” ist. Tatsächlich findet er, die neue Platte sei im Vergleich zu früheren Projekten deutlich hoffnungsvoller. Die Angst schwingt mit, aber auch eine konstante Menschlichkeit.
Zu so viel Hoffnung hat er sich nie getraut, meint Flo. Frühere Projekte waren stark von Systemkritik geprägt, von einer gewissen Hoffnungslosigkeit, gesellschaftliche Zwänge zu durchbrechen – ein Gefühl, dass sicher vielen von uns bekannt vorkommt, wenn man sich die tagtäglichen Nachrichten anschaut.
Doch jetzt hat sich Flo ausdrücklich von der Hoffnungslosigkeit entfernt. Denn, aller Trauer und Angst und dem Chaos zum trotz, sieht es im Zwischenmenschlichen dann oft ganz anders aus. Hier kommt das eigentliche Stichwort, mit dem Flo “Wüstenland” beschreiben würde, zu tragen: Veränderung.
Er findet, sie haben mit dem neuen Album genau das erreicht, was sie erreichen wollten: ein Erlebnis auf mehreren Ebenen. “Wenn die Platte endet und das Intro nochmal von vorne losgeht, ist das wie ein schon bekannter Film, den man sich nochmal anschaut und plötzlich neue Details erkennt,” meint Flo zufrieden.
“Wüstenland” ist am 12. September 2025 unter dem wirwirwir Label veröffentlicht worden.
Nataly Sesic
Unter Freund:innen weiß man: Wenn du neue Musik auf die Ohren brauchst, fragst du Nataly. Als Maximalistin im wahrsten Sinne des Wortes liebt sie „too much“: sei es Pop der 2010er, Rock der 80er oder mysteriöse Subgenres irgendwo zwischen tumblr und Totalausfall; Nataly hat dazu eine Meinung - und sicher einige Fun Facts parat. Wenn sie nicht gerade auf einem Konzert ist, macht Nataly die Hallen ihrer Universität unsicher, schreibt oder liest Bücher oder hat selber die Gitarre in der Hand.