Tag 1: – 29.07.25
Zu meiner Schande muss ich zugeben: Ich war nicht die ganzen 18 Tage vor Ort. Ich habe keine Entschuldigung, außer, dass mein Geburtsjahr mit 19 anfängt.
Wer schon einmal im Backstage war, versteht, was ich meine, wenn ich es das schönste Zirkuszelt der Welt nenne. Direkt, wenn man reinkommt, steht man erst einmal vor der Frage, wo man überhaupt gelandet ist. Der Eingang ist von Fressbuden gesäumt, die übergangslos in einen Biergarten schwappen, der dann von mehreren Merchbuden fortgesetzt wird. Statt die Halle zu suchen, werde ich erst mal von einem Automaten abgelenkt, wo man sich Pommes holen kann.
Eine Dame kommt zu mir und fragt verzweifelt, wo Arena Süd ist. Ich bin schockiert. Scheinbar sehe ich aus wie jemand, der sich auskennt. Oder sie hat schon alle anderen Anwesenden auf dem zum Überquellen vollen Platz gefragt und ich bin ihre letzte Chance. Ich zeige mit absolutem Selbstbewusstsein in eine willkürliche Richtung. Sie dankt mir und ich schaue zu, wie sie im Labyrinth verschwindet und wahrscheinlich nie wieder kommt. Bin ich der Bösewicht dieser Geschichte?
Nachdem ich endlich die Wegweiser entdeckt habe, geht es fix in die Halle. Der Raum füllt sich schnell, obwohl es Dienstag Abend ist. Daran merkt man schon, dass Free & Easy jedes Jahr wieder ein Must-See-Event ist. In einer Stadt wie München, wo gefühlt nicht einmal Atmen kostenlos ist, und Konzerte – ganz zu schweigen Leben und Überleben allgemein – dramatisch teuer geworden sind, sind Veranstaltungen wie diese nicht nur beliebt, sondern geliebt. Das Festival finanziert sich allem voran durch Essen und Getränke; das freiwillige Reservierungsticket-System soll die Kassen aufstocken. Öffentlich wird das Backstage leider nicht gefördert – ein echtes Armutszeugnis für München, Bayern und Deutschland. Ohne Kunst und Kultur wird es still um uns Menschen. Umso mehr müssen Festivals wie Free & Easy unterstützt werden, sowohl finanziell als auch durch Stimmen in der Presse und Politik.

Lineup:
Robo // GRLwood // BATTLESNAKE
Der Abend beginnt Instrumental mit dem Duo Robo. Ich gebe zu, ich war kurz davon irritiert, dass nicht gesungen wurde. Ich höre, außer zu Konzentrationszwecken, keine Musik ohne Gesang und war kurz besorgt, ob die stummen Herren an der e-Gitarre und dem Schlagzeug wirklich die richtige Wahl waren, um an einem Dienstag richtig aufzuheizen. Die Sorge war umsonst, denn das Duo zieht uns sofort virtuos auf ihre Seite. Es fühlt sich in einem gewissen Sinne sehr Lo-Fi an, entspannt und ungezwungen wie eine Bandprobe, aber keinesfalls laienhaft.

Weiter geht es mit GRLwood, wieder ein Duo, diesmal eine Queerpunk-Band aus den Vereinigten Staaten. Wir springen auf die komplett andere Seite des emotionalen Spektrums; vielleicht werden wir auch von Sängerin Rej Forester an den Haaren dort hin gezogen. Nicht, dass ich mich beschweren würde. Mit einer Kombination aus catchy Beats und der sagenhaften Stimme von Raj ist der Saal bald am Überkochen.
GRLwood (und Robo) sind ein klares Plädoyer dafür, unbedingt zu den Vorbands zu erscheinen und nicht erst zum Headliner in die Location zu tingeln. Ja, meine Knie tun weh und ich habe mich schon mehrfach darüber beschwert. Aber Entdeckungen wie GRLwood machen das absolut wett. Es ist ein tolles Gefühl, schon vor dem Headliner zu wissen, dass es ein richtig guter Abend wird.

Als BATTLESNAKE auf die Bühne springen – Herren in luftigen weißen Leinengewändern, die wenig Raum für die Fantasie übrig lassen – und den Titel “I Am The Vomit” raushauen, habe ich einen raren Moment der Selbstreflexion.
Ist das hier irgendwie albern?
Der Sänger, ein Typ, der sicher toll Drucker anschließen kann, trägt golden glitzernde Hörner und tänzelt enthusiastisch in seinen Jesus-Sandalen über die Bühne. Die Väter ab 50 gehen brutal vor der Bühne ab. Ich fange an zu lachen, weil ich einfach nicht anders kann. Es ist schön, am Leben zu sein.

Tag 2: – 31.07.25
In einem Akt der Hybris komme ich nur wenige Minuten vor Konzertstart beim Backstage an. Die Schlange für Bändchen – und den heiligen Pressepass – windet sich bedrohlich um den Biergarten. Leider habe ich nicht die Autorität, die Security zu überzeugen, mich trotzdem durch zu lassen. Sind es die Flechtzöpfe?
Ich wende mich verzweifelt an einen Backstage-Mitarbeiter, der mir kommentarlos das Pressebändchen überlässt; wahrscheinlich, damit ich aufhöre zu heulen.
Lineup:
Our Silent Voice // Blacktoothed // Callejon
Die Vorbands haben es heute nicht leicht: Der prall gefüllte Saal ist voller Vorfreude auf Callejon, das merkt man deutlich. Es ist Donnerstag Abend, und auch, wenn nur Freitag zwischen den Besucher:innen und ihrem wohlverdienten Wochenende steht, so bedeuten zwei Vorbands plus Headliner doch, dass man morgen auf der Arbeit oder in der Uni nur mit Mühe und wenig Schlaf durchkommt.
Den Start machen Our Silent Voice, eine Metalcore-Band aus München, die, wenn man sich den ganzen Merch auf der Bühne anschaut, scheinbar eine Vereinbarung mit Vistaprint hat. Es ist eine solide Show, doch das Publikum ist sichtbar ungeduldig.

Als nächstes treten Blacktoothed aus Leipzig auf die Bühne. Es ist richtig schön rockig; ich als Gitarristin freue mich besonders über die Gitarrensolos. Der Sänger tanzt so ausgiebig, dass er schon beim zweiten Song seine Mütze in der Crowd verliert. Ob er sie je zurückbekommen hat?

Als Callejon auf die Bühne kommen, spüre ich förmlich, wie die Halle vibriert. Um mich herum stehen haufenweise Leute in Callejon-Shirts; manche sehen brandneu aus, andere fransen bereits den Ärmeln. Für einen Moment senke ich die Kamera und schaue mich nur um.
Manchmal lohnt es sich, auf Konzerten innezuhalten und sich klarzumachen, wie und seit wann uns gewisse Musiker:innen begleiten. Für mich und Callejon sind es um die 15 Jahre. Callejon war bei meiner Schulzeit dabei, in der Uni, mein Leben im Ausland; begleitete mich durch mehrere Beziehungen, zig Jobs, 6 Wohnungen und 4 Städte. Es ist verrückt, irgendwie banal und doch zugleich so gewichtig, dass es mir kurz die Kehle zuschnürt.
Auf der Bühne grinsen sich die Musiker an. Es ist offensichtlich, dass 20 Jahre Bandgeschichte den Spaß keinesfalls gemindert haben. Die Musik bricht wie eine Welle in die Halle, es wird getanzt, gemosht, mitgesungen. Wir sind alle zusammen hier, und das ist gut so.

Tag: 3 – 03.08.25
Heute bekomme ich meine Strafe für Tag 1: Denn nun muss auch ich Arena Süd finden. Man sagt mir am Infostand, die Bühne sei “Outdoor” und ich richte einen konfusen Blick gen Himmel. Der “Münchener Sommer” rieselt schon den ganzen Tag. Nach einigem hin und her irren – und der Entdeckung eines Waffelstands – finde ich endlich Arena Süd und quatsche mich durch die Meute.
Lineup:
Inner Space // thrown
Beide Konzerte starten spät. Ich schiebe es auf den Regen, weil man quasi alles auf Regen schieben kann. Vielleicht war es auch die Technik oder die Vibes waren einfach schlecht.
Ich unterhalte mich mit der Security über das Pro und Contra von Stagedivern bis die Jungs von Inner Space endlich die Bühne betreten. Heute gibt es ausnahmsweise nur eine Vorband und ich bin dankbar; schließlich ist es Sonntag und ich muss früh im Bett sein. Nicht, weil ich einen Job habe und früh aufstehen muss oder so. Ab der 30 geht nur ab spätestens 21 Uhr der Warnblinker deines Fleischvehikels an. Dass der Inner Space-Sänger uns wiederholt zum Bewegen auffordert, ignoriere ich taktisch klug und schiebe es auf meine Kamera. Hinter mir bildet sich ein Pit, wo eine Hand voll Leute moshen und pogen. Den einen oder anderen Karatekick gibt’s auch.

Thrown sehe ich dieses Jahr nun zum dritten Mal und freue mich, sie zum ersten Mal fotografieren zu dürfen. Während bei den anderen zwei Shows, bei denen ich war, das metaphorische Dach abgerissen wurde, war die Stimmung hier eher verhalten. Vielleicht lag’s daran, dass es Outdoor war – kein Dach zum Abreißen verfügbar. Harhar, alle bitte lachen.
Es ist klar, dass nicht jeder Auftritt eine 10/10 sein kann. Das schlechte Wetter, eventuelle technische Probleme und der Slot am Sonntag Abend hat sicher seines getan, um die Energie zu drücken. Ich war trotzdem froh, dabei zu sein.

Und so geht die (halbwegs) erste Woche Free & Easy vorbei.
Mein Fazit: Ich bin jedes Jahr unendlich dankbar für das Backstage und das Free & Easy-Festival. Man merkt, wie viel Arbeit und Liebe drin steckt, sowohl von Seiten der Organisator:innen, als auch der Bands. Ich kann nur inständig hoffen, dass wir uns auch zukünftig auf dieses tolle Festival freuen können.