GenreGPT - Ausgabe 14: Skramz
07.08.2025 | Moritz Zelkowicz

Wenn es einen Genre-Namen gibt, der klingt wie ein unaufgeräumter Schreibtisch, dann ist es Skramz. Ein Begriff, der klingt wie etwas, das man versehentlich bei eBay sucht und dann noch aus versehener aus einer Garage in Dayton, Ohio geschickt bekommt – zusammen mit einer Kassette ohne Hülle und einem Brief, der nur aus Großbuchstaben besteht.
Und doch ist es Musik. Also irgendwie. Es ist auf jeden Fall Gitarrenmusik. Es ist Geschrei, ganz viel Geschrei. Aber nicht das polierte Screamo-Geschrei, das Anfang der 2000er auf MTV2 lief, mit schlecht frisierten Vokuhilas und postpubertären Herzschmerztexten über Exfreundinnen namens "Ashley". Skramz ist die rohe Ursuppe. Screamo, bevor es wusste, dass es cool ist. Screamo, bevor jemand das Wort Screamo in Marketingmaterial geschrieben hat. Screamo, das einfach passiert ist – in Kellern, auf Demos, in Fahrradkellern, auf kaputten Tapedecks. Screamo, das nicht angesagt sein wollte, sondern nur dringend rausmusste.
Der Begriff „Skramz“ selbst ist eine ironische Erfindung des Internets. Keiner in der Szene hat ihn jemals ernsthaft verwendet. Es war die verzweifelte Antwort auf das Problem, dass irgendwann einfach jede Band mit Kajal und einem Breakdown als Screamo durchging – was, mit Verlaub, nicht so gedacht war. Also erfand man Skramz. Nicht als neues Genre, sondern als Rückzugsort. Als letzte Bastion gegen das Emo-Slush aus dem Hot-Topic-Regal.
Dabei war Skramz schon lange da. Irgendwo zwischen Hardcore, Chaos, Jazz, Post-Rock und wütendem Tagebuch. Die großen Namen? Pg.99, Saetia, City of Caterpillar, Funeral Diner. Bands, deren Diskografien meist in zwei Minuten durchgehört sind, aber deren Einfluss wie ein schlecht isoliertes Gitarrenkabel durch alles spätere Gekreisch zittert. Das ist Musik, die klingt wie: "Wir haben nur 3 Akkorde, aber 7 Gefühle – und alle gleichzeitig."
Die Produktion? Meistens nicht vorhanden. Skramz klingt nie gut, aber dafür echt. Die Aufnahmen sind verwaschen, verzerrt, zu laut, zu leise, irgendwie daneben. Aber das ist kein Makel, das ist Methode.
Die Texte? Eine Mischung aus Lyrikseminar, Teenagerwut, politischer Verzweiflung und intimer Beichte. Und manchmal alles gleichzeitig, in einem Song, der 59 Sekunden dauert. Skramz ist nicht traurig, Skramz ist aufgelöst.
Und auch musikalisch passiert da eine Menge – aber nicht im Sinne von "gut arrangiert", sondern eher im Sinne von "jemand hat im Proberaum das Metronom verloren und wir machen einfach weiter". Takte wechseln, Gitarren kreischen, Drums stolpern durch die Dramaturgie wie Leute nach dem dritten Espresso auf leeren Magen. Alles ist brüchig. Und das ist gut so.
Natürlich gibt es auch hier wieder eine Linie in die Jetztzeit. In den 2010ern nennt man das dann Screamo Revival, auch wenn es eigentlich kein Revival war – eher ein kurzzeitiges Aufflackern auf Bandcamp mit neuen Namen: Loma Prieta, Coma Regalia, Infant Island, State Faults. All diese Bands nehmen den Skramz-Spirit auf – DIY, Emotion, Feedback – und fügen eine moderne Ästhetik hinzu. Mehr Hall. Bessere Mikrofone. Manchmal sogar Musikvideos. Skandal!
Aber auch hier gilt: Lange hält sich kaum jemand im Genre auf. Wie bei Crunkcore oder Grind-Vaporwave – wer zu lang bleibt, muss anfangen, sich selbst zu erklären. Und das will in dieser Szene nun wirklich niemand. Skramz ist ein Hit-and-run-Genre. Kommen, kreischen, gehen. Keine Reunion, kein Deluxe-Reissue, kein KISS-Merch. Nur ein Demo auf Kassette mit handgemaltem Cover und einem Zettel: „Danke, dass du’s gehört hast.“
Vielleicht ist Skramz genau das Genre, das nur existiert, weil es nie offiziell existieren wollte. Eine dauerhafte Verweigerungshaltung, ein Genre gewordener Augenring. Musik, die sich selbst lieber löscht, als einen Wikipedia-Artikel zu bekommen.
Administrador Viejo, das Internet wird sich nicht durchsetzen – aber ein handgemachter 4-Track-Liveschnitt aus Portland 1999 vielleicht schon.

Moritz Zelkowicz
Moritz ist als Franke im sehr nahen Osten (Thüringen) gelandet. Er ist Teil der Lügenpresse auf Bundesebene und Bundesumweltminister der Redaktion. Musikalisch ist er überall dabei, ob Punk, Core oder Rap, erlaubt ist, was gefällt.