From Boys To Men – Wie Boybands sich selbst abschaffen
21.01.2020 | Moritz Zelkowicz
Die Backstreet Boys haben sicherlich so manche Träne verdrückt. Mit DJ Steve Aoki haben sie gerade die Single „Let It Be Me“ veröffentlicht, doch der Fokus der Musikpresse liegt nicht auf den Boys, es wird lediglich Steve Aoki abgefeiert. Auf's falsche Pferd gesetzt? Oder sind die Backstreet Boys einfach raus aus dem Geschäft? Wie so oft lohnt sich der Blick in die Vergangenheit. Denn das Phänomen Boygroup stammt keinesfalls aus den 90ern. Nur ist der Hype um Bands wie New Kids On The Block in den 80ern oder Bay City Rollers in den 70ern nie so intensiv in Deutschland angekommen. Dafür mussten erstmal Bands am Reißbrett konzipiert werden. 1990, die Geburtsstunde von Take That. Viele romantische Geschichten ranken sich um die Besetzung der Band. Als sicher gilt, dass Manager Nigel Martin-Smith den Barpianisten Gary Barlow entdeckte, während der unter dem Namen Kurtis Rush seine erste Single aufnahm. Bei gemeinsamen Aufnahmen soll man dann auch Mark Owen kennengelernt haben, der in diesem Studio arbeitete. Martin-Smith suchte weiter und fand die konkurrierenden Tänzer Howard Donald und Jason Orange und engagierte sie. Um die Verpflichtung romantisiert Martin-Smith viel herum: Er hätte ihn gesehen und hätte nicht anders gekonnt, als ihn in die Band zu holen, obwohl er gar kein zusätzliches Bandmitglied mehr wollte. Eine dreiste Lüge, denn Nigel Martin-Smith hatte zuvor herumgetönt, dass er noch einen fünften Mann für das Projekt engagieren wollte und gab dafür sogar eine Zeitungsannonce auf. Aber solche Geschichten verkaufen sich eben verdammt gut.
Aber all diese Bands haben eine Konstante – sie lösten sich früher oder später auf. „In einer Gruppe verliert man leicht seine Individualität.“, so Howie Dorough von den Backstreet Boys. Aber eben das war der Punkt, der den Produzenten und Managern so gefiel. Man muss doch einfach nur seine Eltern fragen: Zu Zeiten der Beatles hatte jeder Beatle eine Schar, die nur ihn umringt hat (bis auf Ringo vielleicht). Das Ziel war es also Bands zu formen, in der alle so aussahen, dass man jederzeit den einen durch den anderen ersetzen könnte. Eine Band, in der einfach jeder von den Teenagern vor der Bühne angeschmachtet werden würde. Bei der Besetzung wurde somit weniger auf Talent geachtet, sondern auf Attraktivität. Ziemlich krank, angesichts des Alters der Zielgruppe.
Einer der größten seiner Zunft war Lou Pearlman. Pearlman war ein Cousin von Art Garfunkel, was ihn wohl tief geprägt hat. Pearlman war einer der erfolgreichsten Manager der Musikgeschichte und maßgeblich beteiligt an der Finanzierung und Formung der Backstreet Boys. Anschließend sorgte er mit Natural und US5 für große Erfolge in Deutschland. Die geschätzten Plattenverkäufe der von ihm geformten Acts liegen bei 125 Millionen Dollar. Er verstand das Prinzip Boybands wohl als erster in seiner gesamten Tragweite Auf die Frage, wann das Phänomen Boygroups enden würde, antwortete er: „Ich sage Ihnen genau, wann es zu Ende gehen wird. Wenn Gott aufhört, kleine Mädchen zu machen. Bis es soweit ist, machen wir weiter.“ 2016 starb Pearlman, ein Jahr zuvor kündigte eine der letzten hierzulande kommerziell erfolgreichen Boybands ihre Pause an – One Direction. Ebenfalls eine gecastete Band, die zuvor nie zusammengespielt hat. Und so war es vorprogrammiert, dass sie der Zeitgeist einst holen würde. Die Backstreet Boys sind zwar zurück und haben sogar mit New Kids On The Block 2011 und 2012 als Supergroup auf der Bühne gestanden. Doch dies war auch nicht mehr als das verzweifelte Ringen nach Relevanz. Zur Verteidigung der Backstreet Boys – sie versuchen es heute besser zu machen. Nicht mehr nur die süßen hohen Jungenstimmen, sie versuchen es sogar mit tiefen, eindringlicheren Stimmen. Aber mit den Fans der Backstreet Boys ist exakt das passiert, was mit den Boys selbst passiert ist: Sie sind erwachsen geworden. Diese Fans freuen sich heute vielleicht noch, wenn sie die Lieder ihrer Jugend auf einer 90er-Party hören, aber ein neues Album braucht von ihnen keiner. Und so wissen auch die Wenigsten von ihnen, dass vor kurzem ein neues Album erschienen ist. Die heutige Jugend hat andere Idole und so wurden die Boybands ausgetauscht. Warum so manche Band nach wie vor versucht, im Gespräch zu bleiben, ist absolut schleierhaft. So zum Beispiel AJ McLean, der im Musikmagazin Billboard freizügig darüber erzählt, dass er während der Aufnahme zu „The Call“ gefurzt hat und der Furz in der Aufnahme blieb. Was sich in einem Artikel wie diesem vielleicht amüsant liest, verkommt im Interview zu einer einzigartigen Farce. Aber was tut man nicht alles um im Gespräch zu bleiben, oder überhaupt wieder ins Gespräch zu kommen.
Das Interessante – live funktioniert das immer noch sehr gut. Die Touren sind bestens besucht und zumeist ausverkauft. Aber auch hier dürfen es die Bands nicht wagen, zu viel Neues zu spielen. Für die Fans ist es ein schwelgen in Erinnerungen, für die Bands ist es der Versuch, genau in diese zurückzukehren. Und doch ist es unfair, sich genau die Backstreet Boys herauszupicken, denn sie versuchen immerhin inzwischen, etwas anders zu machen. Daher auch das neue Album – der Versuch, das eigene Image anzupassen. Daher die dunklen Anzüge anstatt weißer Hemden. Und daher auch das Feature mit Steve Aoki. Nur ändert das alles nichts daran, dass die Boys keine Boys mehr sind.
Moritz Zelkowicz
Moritz deckt als Franke den Süden Deutschlands ab. Er versucht beständig Teil der Lügenpresse zu sein, ist aber ansonsten im Marketing tätig. Musikalisch ist er überall dabei, ob Punk, Core oder Rap, erlaubt ist, was gefällt.