Bei Platzregen und schwülen 29 Grad versammeln sich Fans und Freunde vor dem Technikum in München. Ich kenne das Technikum gut – zuletzt war ich für thrown hier und durfte da schon das beruhigende blaue Licht, das um die Auftritte herum die Halle erfüllt, genießen. Die Stimmung, ebenso wie das Licht, ist heute Abend ziemlich entspannt. Ich sehe überraschend viele Anniversary-Shirts und beginne zu bereuen, nicht auch eins gekauft zu haben. Was ich auch schön finde: In der Welle aus Bandshirts sieht man Fans aller Genres. Metalcore und Rock sind die vorherrschenden Gruppierungen; kein Wunder, wenn man die Anfänge und Einflüsse von PVRIS betrachtet. Für PVRIS war „White Noise“ in vielerlei Hinsicht ein transformatives Album: Nicht nur ändern sie kurz vor Aufnahmestart aus legalen Gründen den Bandnamen von Paris zu PVRIS, sondern gehen mit dem neuen Album auch musikalisch neue Wege. Der zuvor eher in Post-Hardcore einzuordnende Sound wird durch Pop- und Electro-Elemente ergänzt. Das mag auf die erste Hörer:in wie „selling out“ klingen, aber man merkt, dass PVRIS ihrer Kreativität, nicht dem Kommerz folgen.
Für die Band, und insbesondere Sängerin Lynne, war „White Noise“ der Anfang von allem: „This album has done so much for all of those involved, created the most beautiful community and paved the way for so many amazing connections, friendships, art, music, etc. (…)“
Die Tour soll durch ein zweigeteiltes Set und Special Guests eben diesen Stellenwert in der Bandgeschichte widerspiegeln.
Doch bevor wir PVRIS begrüßen, freuen wir uns erst mal auf die zuvorkommende Künstlerin, welche das Technikum „aufheizen“ soll. (Ich tippe diesen Satz mit einem lachenden, einem weinenden Auge. Vielleicht ist es aber auch nur Schweiß, der mir die Stirn runterläuft.)
Opener: Jule (@ubahnstreik)
Um 20:00 Uhr spielt erst mal Jule. Jule ist nervös, das gibt sie auch offen zu. Ihre Show ist keine große Produktion, nur ein Mädchen mit ihrer Gitarre. Mehr braucht sie auch nicht, denn Jule besticht mit einer Stimme, welche auch alleine die ganze Halle zu füllen vermag. Beim letzten Song – über den Typen, der sie in einer Hamburger Bar ungewollt zugequatscht hat – nicken viele der Mädels im Publikum. So etwas nenne ich Resonanz! Nach etwa 20 Minuten ist der Zauber vorbei und wir warten alle gespannt auf PVRIS.

Headliner: PVRIS
Um Punkt 21:00 Uhr wirbeln Lyndsey „Lynne“ Gunnulfsen, Bassist Brian MacDonald und Denny Agosto Vega, der live auf den Drums unterstützt, auf die Bühne und eröffnen das Set mit „Smoke“. Im ersten Teil des Sets wird "White Noise“ ordentlich gefeiert und in Teil 2 gibt es Songs aus allen Alben auf die Ohren. Eine schöne Art, das Album zu ehren, ohne zu lange zu verweilen, finde ich. Ich bin geteilter Meinung, wenn es darum geht, einen ganzen Konzertabend mit nur einem Album zu füllen. Kürzlich feierte Bullet For My Valentine auf Rock im Park 20 Jahre „The Poison“, indem sie das Album von Anfang bis Schluss gespielt haben. An sich eine gute Sache – und für mich, deren allererstes Konzert vor rund 14 Jahren Bullet For My Valentine war, sehr nostalgisch – aber ich habe den Eindruck, dass man einen Teil des Publikums damit direkt von der Party „auslädt“. PVRIS haben das hier bestens gelöst.

Die Stimmung ist von Anfang an ganz oben. Um mich herum wird getanzt und gesungen, aller Hitze zum Trotz. In kürzester Zeit sind wir allesamt schweißgebadet, Make Up läuft an Gesichtern herunter, Ventilatoren und Fächer kommen zum Vorschein – aber ich blicke ausschließlich in lächelnde Gesichter. Bei einer PVRIS-Show zu sein, fühlt sich an wie ein richtig nettes Date, bei dem man sich auf den ersten Blick toll findet. Lynne plaudert mit der Meute, die ihr immer wieder zuruft, wie hot sie ist und dass wir sie alle lieben. Sie kichert fast schon ein bisschen schüchtern, als hätte sie nicht das Technikum restlos ausverkauft. Lynne, genau wie die Musik von PVRIS, ist ungekünstelt, und das macht sie umso sympathischer.

Im Übergang von Set 1 zu Set 2 des Abends legen wir eine blitzschnelle Pipi-Pause ein – was Standard werden sollte, wie ich finde. Und so beginnt Teil 2 mit Verschnaufpause, aber energetisch ganz oben mit „BURN THE WITCH“, damit wir alle richtig schön mitkreischen können. Ich ignoriere mal den low hanging fruit, dass wir allesamt in der Hitze dieses Münchener Abends am Verbrühen sind. Ich möchte nur nochmal an mein Leid erinnern.
Die für mich besten Songs des Abends: „Animal“ und „Dead Weight“

Zum Abschluss gibt es nochmal einen Shoutout and die girls, die gays und die theys mit „GODDESS“. Gute Stimmung überall, der Applaus bricht kurz ab, nur um dann wieder zu starten. Es gibt keine Zugabe, aber zum ersten Mal in meinem (Konzert-)Leben gibt es keine Rufe nach Mehr. Das Publikum ist restlos zufrieden. Ich habe einen wunderbaren Abend mit PVRIS verbracht. Auf dem Weg nach Hause begleitet mich eine Beschwingtheit, die sicher noch einige Tage anhalten wird. Und final noch das Sahnehäubchen: Am Konzerttag, dem 02.07.25, wurde „White Noise“ endlich Gold zertifiziert. Herzlichen Glückwunsch an PVRIS und danke für die tolle Show!
