High on Fire waren für mich bis letztes Jahr immer hauptsächlich namentlich bekannt. Und auch obwohl ich über die letzten Monate immer wieder zu den knarrenden Riffs und donnernd anschwellenden Grooves von “Cometh the Storm” zurückgekehrt bin, ist diese neueste Platte des Trios zum Zeitpunkt, als ich mich an einem Mittwochabend auf den Weg ins Turock in Essen mache, mein einziger Berührungspunkt mit der Band. Darum hier ein kurzer Abriss: High on Fire wurden 1998 von Sleep-Gitarrist Matt Pike gegründet, der auch das einzige durchgängige Mitglied der Gruppe ist. Seine beiden Mitmusiker Jeff Matz (Bass) und Coady Willis (Schlagzeug) sind seit 2006 bzw. 2021 mit an Bord. High on Fire ist damit zwar genauso alt wie ich, in seiner aktuellen Besetzung allerdings noch recht frisch. Ein Aspekt, der auf “Cometh the Storm” neu dazukommt und für mich als zentrale Faszination der Platte funktioniert, ist das Einweben von türkischer Folk-Musik. Bassist Jeff Matz spielt auf dem Album unter anderem Bağlama, ein traditionelles türkisches Saiteninstrument. Das fügt sich erstaunlich nahtlos in die bedrohliche Kulisse von “Cometh the Storm” ein und gibt der Musik eine zusätzliche Dynamik.
So weit so gut, wirklich vorbereiten auf diesen Abend in all seinen Facetten konnte mich das Nachlesen über die Bandgeschichte allerdings nicht. Als ich den schummrig beleuchteten Konzertsaal des Turock betrete, schweift mein Blick über die an der Decke hängenden Traversen, von denen sich der Altersdurchschnitt des Publikums nach meinem Dazustoßen ins Bodenlose stürzt. Die Kuttenquote der Anwesenden geht stark auf die 90% zu, die Wand hinter der Theke zieren Jack-Daniels-Devotionalien und ein Schild mit der Aufschrift: “Du musst nicht verrückt sein, um hier zu arbeiten. Das bringen wir dir bei.” Und über allem wacht eine übergroße Styropor-Repräsentation des Motörhead-Maskottchen Snaggletooth mit leuchtend roten Augen. So sieht es also aus, das Epizentrum der Dadness.
Die Supportband Necrot, die zu diesem Zeitpunkt ihre ersten Songs anstimmen, könnten in das sich mir bietende Gesamtbild nicht besser passen. Alle drei sehen aus wie direkt aus einem Metal-Katalog spaziert, die Anlage, über die sie ihre Musik schmettern, ist unfassbar laut aufgedreht und man versteht weder das eigene Wort noch das des Sängers der Band (letzteres ist aber wohl eher Teil des Konzepts). Das klingt jetzt alles erstmal nach einer ziemlich stereotypen Metalshow, was dem Ganzen aber die Krone aufsetzt ist die Inszenierung auf der Bühne. Auf der ist es nämlich während des gesamten Abends hell erleuchtet, was der wahrscheinlich angestrebten martialischen Atmosphäre nicht besonders zuträglich ist. Es entsteht ein wenig Turnhallenatmosphäre, und ich muss mehr als einmal schmunzeln. Die Umstehenden scheint das alles aber nicht im geringsten zu stören, im Gegenteil: das Publikum quittiert jedes “How the fuck are you doing?!” mit hopfigem Gröhlen und schon jetzt werden ordentlich Heads gebangt und Pommes gegabelt. Mitreißen können mich Necrot in ihrem 30-minütigen Slot nicht, ich fühle mich aber trotzdem gut unterhalten.
Nach einer kurzen Umbaupause ertönt über die Anlage “Karanlık Yol”, ein instrumentales Stück vom neuen Album der Band und das unverkennbare Signal, dass es jetzt losgeht. Unter den verheißungvollen Klängen der Bağlama betreten grob geschätzte 634 Jahre Rockstarleben die Bühne, mindestens die Hälfte davon in Form des abgehalfterten Körpers von Matt Pike. Der spielt seine Gigs wohl grundsätzlich immer ohne Shirt, worauf mich meine Vorfeldrecherche bereits vorbereitet hat. Davon kann man jetzt halten was man will, mir persönlich ist grundsätzlich relativ egal, wie sich Künstler:innen auf der Bühne kleiden und benehmen, solange im Großen und Ganzen Konsens darüber besteht, dass man hier ist um kollektiv eine gute Zeit zu haben und den anderen den Abend nicht durch aufgedrängten Hautkontakt oder sonstige Rücksichtslosigkeiten versaut. Bis auf ein paar sichtlich betrunkene Typen, deren Körpergefühl über den Verlauf des Konzerts rapide abnimmt, scheinen aber alle hier Anwesenden das ähnlich zu sehen.
Nun aber zurück zur Musik: Als echten ersten Song spielen High on Fire “Burning Down”, und ab der ersten monströsen Kickdrum stellt sich bei mir das Gefühl ein, dass die 12 Euro, ich irgendwann mal in Gehörschutz investiert habe, sich immer wieder bezahlt machen. Alles andere als eine ohrenbetäubende Kulisse würde der Musik dieser Band aber wohl auch nicht gerecht werden. Zu meiner milden Enttäuschung begeben sich High on Fire erst wieder mit dem letzten Song “Darker Fleece” in die Gefilde von “Cometh the Storm”. Das ist zwar ohne Frage ein absolut episches Finale, ich hätte mich trotzdem sehr über Songs wie “Lambsbread” oder den Titeltrack der Platte gefreut, vor allem wenn die in Kombination mit live gespielter Bağlama gekommen wären. Stattdessen umfasst die Setlist am heutigen Abend sechs weitere Songs, die einen Bogen über die gesamte Bandgeschichte spannen. Insgesamt kommen High on Fire dabei zwar “nur” auf knappe 70 Minuten Spielzeit, die sind aber auch zu fast 100% mit Musik gefüllt. Keine ausschweifenden Ansagen, keine Momente der Stille und vor allem keine Zugabe, eine Entwicklung die ich persönlich extrem begrüße. Auf der akustischen Ebene ist diese Show wahnsinnig beeindruckend, lediglich die weiterhin merkwürdige Beleuchtungssituation stört meinen Gesamteindruck ein klein wenig.
Um meinen Zug zu erwischen, muss ich mich mit den letzten distortion-getränkten Wellen von “Darker Fleece” aus dem Turock spülen lassen. Auf dem Weg zurück muss ich mich erstmal an die Abwesenheit von Krach gewöhnen und ich entkomme nicht dem Gefühl, hier gerade eine kleine Zeitreise unternommen zu haben.