Die Anreise erfolgt wie jedes Jahr mit dem ÖPNV, der sich zum Ende des Open Airs immer als Problem darstellen wird. Dazu später mehr. Der Weg von der Bushaltestelle zum Festivalgelände ist so kurz, dass er gerade mal für ein Dosenbier reicht, aber egal. Nach dem Zahlen des Zwanzigers für den Eintritt und dem Anlegen des Bändchens geht es hinein auf den "rockigsten Sportplatz Norddeutschlands" des kleinen Neuenkirchen, welches knapp 40 Kilometer südlich von Bremen liegt.
Um 18:00 Uhr ist noch nicht viel los, am Ende werden es 450 Besucher sein. Hier und da stehen Grüppchen im Small Talk zusammen. Wir begrüßen die ersten Bekannten und schauen uns um. Die Bühne ist wieder klein und beschaulich, bietet aber genug Platz für die Bands, um durchzudrehen. Stehtische, Sitzmöglichkeiten sind verteilt und die ersten Bands beginnen bereits mit dem Aufbau des Merch-Standes. Mein Blick fällt sofort auf das Shirt von Alex Mofa Gang: „Euphorie am Abgrund“ steht drauf, betitelt nach dem Album aus 2024. Das wird mich nicht mehr loslassen und später am Abend als weiteres Bandshirt in meine Sammlung wandern und den Unmut meiner Frau nach sich ziehen, die sich immer fragt, was ich denn mit all den Shirts will.
Nach dem Überblick geht es erstmal an die Theke. Wie jedes Jahr ist zwischen 18:00 und 20:00 Uhr Happy Hour. Das vergünstigte Angebot nehmen wir selbstverständlich wahr. Gezapft wird in Gläsern, die mit zwei Euro Pfand belegt werden. Die Preise sind moderat. Durch die vielen Gespräche vergeht die Zeit sehr schnell und wir haben gar nicht mitbekommen, dass die erste Band des Abends bereits auf der Bühne steht. Also, schnell leer trinken, Pfand wegbringen und ab zur Bühne.

Mit The Rookies tritt eine sehr junge Band auf und das in doppelter Hinsicht. Zum einen existiert diese Band noch nicht so lange, zum anderen sind die Mitglieder noch sehr jung, teilweise Teenager. Die Band aus dem Landkreis Nienburg entwickelte sich im schulischen Umfeld, darauf lassen die vielen Auftritte bei Schüler-Musik-Wettbewerben schließen. Den jungen Musiker:innen merkte mensch zu Beginn ihre Unsicherheit durchaus an, aber die leider wenigen Menschen im Publikum feierten ihren Pop-Punk von Beginn an, sodass von der Sängerin bis zum Schlagzeuger alle im Laufe des Auftritts lockerer wurden. Bei den letzten Tracks wurde der Spaß, den die Musiker:innen an ihren eigenen Songs haben, so richtig deutlich. Im Anschluss an ihren Auftritt sah mensch die Band dann bei den Gigs der anderen Bands immer vorne im Pit.

Nach einer kurzen Umbaupause, die von uns für die letzte Viertelstunde Happy Hour genutzt wurde, trat die Düsseldorfer Band SinnFrei auf die Bühne. Die Band existiert seit 2015. Auch sie hätten von Beginn mehr Menschen vor der Bühne verdient, aber die ansteckende Power ihres Ska-Punks zog im Laufe des Gigs immer mehr vor die Bühne. Die Texte, die auf Deutsch gesungen werden, sind wunderbar links und antifa. Der Sound bewegt mich das erste Mal. Und das meine ich wörtlich. Wenn Punk sich mit Trompeten vereint, kann ich gar nicht anders als tanzen.
In der nächsten Pause musste endlich etwas gegessen werden. Und damit sind wir beim einzigen Wermutstropfen des Abends. Es gab einen Imbissstand, der Fritteusen-Essen anbot, welches nicht schmeckte und überteuert war. Mir ist klar, dass ein Open Air dieser Größe kein kulinarisches Überangebot bieten kann, aber eine Alternative zu Pommes und Currywurst wäre schön gewesen.

Die dritte Band des Abends war Janiz aus Chemnitz. Die Mischung aus Emo, Alternativ und PopPunk war gut, riss mich und die andern nicht zwingend vom Hocker. Ja, sie waren eingängig und hörbar, klangen aber letztlich für meine Ohren zu glatt. Applaus, Anerkennung und Aufmerksamkeit bekamen sie dennoch von uns, denn jeder, der sich auf die Bühne stellt und Musik spielt hat genau dies verdient.
Die nächste Umbaupause wurde mal wieder für intensive Gespräche mit den vielen alten Bekannten genutzt, die ich auch hier regelmäßig treffe. Ein wichtiger Aspekt, der mich Festivals im näheren Umfeld lieben lässt. Es fühlt sich so unwahrscheinlich familiär an und ist ein absoluter Safe Space, bei dem ich meine Attitüde nicht verstecken muss und so sein kann, wie ich bin.

Kurz bevor Alex Mofa Gang ihren Auftritt hatten, erstand ich deren Bandshirt, streifte es mir über und ab zur Bühne. Ich hatte sie bereits 2017 bei ihrem Auftritt gesehen in Neuenkirchen gesehen und wie damals war ich von Beginn an dabei. Front of Stage, springen, mitsingen und feiern. Starker Deutschpunk mit wichtigen Texten. Der Sänger Sascha Hörold war unwahrscheinlich nahbar und hatte das Publikum ab dem ersten Song in den Bann gezogen. Da konnte auch der einsetzende Regen nichts ändern, auch wenn sich einige Regenscheue unter die Pavillons verkrochen. Einzig mein Iro überlebte den Regen nicht und fiel unwiderruflich in sich zusammen. :-) Höhepunkt war, als Sascha auf einem kleinen Koffer von der Menge getragen performte, ehe er sich wagemutig auf die nach oben gestreckten Händen warf. Fast zeitgleich mit dem Regen endete dieser fantastische Gig.

Nach dem Auftritt von Gang musste ich unbedingt mit Sascha Hörold sprechen. Während eines Songs animierte er uns, in die Hocke zu gehen und zu springen, wer dies nicht tun würde, sei halt „Schalker“. Als Schalker Fan konnte ich das nicht auf mir sitzen lassen. Erst im Nachhinein, beim Schreiben dieser Zeilen, kommt es mir in den Sinn, dass ich ja hätte stehen bleiben sollen, aber in der Situation habe ich mich stumpf der Masse angeschlossen und bin in die Knie gegangen, soweit wie ich halt noch in die Knie gehen kann. Auf jeden Fall kam ich mit Sascha ins Gespräch und er erzählte mir von einem Erlebnis in der Veltins-Arena, bei dem das Publikum nicht mitzog, das bewog ihn zu dieser Aussage. Der Sänger von Alex Mofa Gang stellte sich auch im „privaten“ Gespräch als das heraus, was er ist: authentisch, offen, sympathisch und auf dem Boden geblieben. Wir tauschten uns über Fußball aus und als ich am Ende noch die Vinyl von „Euphorie am Abgrund“ erstand, zeichnete Sascha die Lieblingsverein von ihm, meinem Sohn und mir aufs Cover – letztlich eine schöne Erinnerung auch an dieses tolle Gespräch.

Die letzte Band des Abends – Damn!Escape – trat mit mehr als zwanzigminütiger Verzögerung auf, sodass ich deren Heavy Rock nicht mehr richtig genießen und hören konnte. Wie zu Beginn erwähnt, rief der ÖPNV. Wenn wir noch nach Hause wollten, mussten wir den letzten Bus erwischen. Zwei Songs habe ich aber noch mitbekommen und die waren vielversprechend. Die Klänge der Band begleiteten uns noch ein Stück weit bis zur Bushaltestelle. Nach dreißig Minuten Busfahrt und anschließenden viertelstündigen Radtour fiel ich zufrieden um 2:00 Uhr ins Bett.
Wie jedes Jahr erschaffen die Organisatoren des NOA eine Wohlfühlatmosphäre. Veränderungen werden behutsam eingeführt, so gab es erstmals Unisex-Toiletten im Vereinsgebäude des Sportgeländes. Das Line-Up besteht aus einer guten Mischung aus bekannten und unbekannteren Bands und deckt ein breites Spektrum an Punkmusik ab. Ich freue ich jetzt schon auf 2026 und die neunundzwanzigste Auflage des NOA. Kleine Festivals wie das NOA sind wichtig für die kulturelle Vielfalt gerade ländlicher Region und gehören vielmehr gefördert und unterstützt, gerade auch von kommunaler und staatlicher Seite. Denn wenn diese Veranstaltungen wegbrechen, dann stirbt auch die ländliche Region.