Das Bergson Kunstkraftwerk erweitert seit April 2024 das Münchener Musikprogramm. Neben Konzerten rund um Bigband, Jazz und Klassik kommt an diesem kalten Novembersamstag etwas Neues hinzu: das Bergson Metal Fest. Ein extrafeines Lineup aus fünf Bands – May The Tempest, As Time Went By, Vicious Rain (die für die kurzfristig kranken Chaosbay einspringen), Tenside und Siamese – weiht das ehemalige Heizkraftwerk im Sinne des Metal ein.
Ich mache mich an diesem Samstag bei wundervollem Sonnenschein auf den Weg zum Bergson. Leichter gesagt als getan – wie es so oft das Schicksal von Szene-Schuppen in München ist, so ist auch das Bergson in der hintersten Ecke verschachert. Grundsätzlich verständlich; ein Heizkraftwerk findet man eher selten direkt am Rathaus, doch in der Tat ist die Erreichbarkeit sicher das größte Manko an dieser sehr besonderen Location. Ich hatte noch Glück und tuckerte in etwas unter fünfzig Minuten von der Innenstadt nach Pasing und dann weiter nach Langwied. Ein anderer Konzertbesucher durfte auf dem Weg zum Festival drei U-Bahnen und eine S-Bahn wechseln – was tut man nicht alles für seine Sucht.
Ein Fußmarsch von etwa 800 Metern trennt die einsame Langwied-Haltestelle vom imposanten Bauwerk. Schon von draußen kann sich das Bergson richtig sehen lassen, aber drinnen wird erst klar, wie edel das alte Kraftwerk ist. Roter Ziegel, Chrom und hohe Fenster geben der Location einen ganz besonderen Flair. Als jemand, der an Dorf-Rockschuppen und Zeltstädte gewöhnt ist, bin ich schon beeindruckt vom einladenden Atrium und der Galerie, die sich um die Location wickelt. Die offene Raumverteilung und die ewig hohen Decken helfen auf jeden Fall bei dem oftmals klaustrophobischen Gefühl, das sich bei Konzerten entwickeln kann.
Leider erweisen sich die charmanten hohen Decken im Laufe des Abends als meine größten Feinde.
Ich pflanze mich kurz vor 16 Uhr brav direkt an die Barrikade. Noch ist das Bergson mäßig gefüllt. Mir fällt auf, dass das Klientel deutlich jünger ist, als bei meinen meisten Konzertbesuchen. Sicher, den einen oder anderen Knirps, der seine leidenden Eltern in die Location gezerrt hat, gibt es immer, aber in der Tat ist der Altersdurchschnitt an diesem Tag deutlich gedrückt. An der Barrikade stehe ich eingequetscht zwischen zwei Grundschülern, die mich ebenso verdutzt anschauen, wie ich sie.
Das Festival startet schon um 15 Uhr und geht bis 23 Uhr. Das sind Uhrzeiten, die selbst Kinder und Teenager vor ihren Eltern abgesegnet bekommen.
Dazu kommt der Preis: Early-Bird-Tickets kosteten gerade mal 25 Euro, die Abendkasse in der letzten Preisinstanz liegt bei 39 Euro – und das für fünf Bands. In einer Zeit, in der Konzertkarten immer teurer werden, sehe ich nur selten Tickets unter 40 Euro für Shows, die lange kein so diverses Programm bieten. Das kann man sich, selbst als Teenie, noch irgendwie leisten. Auch als Elternteil mit kleinen Kindern kann man so einen Ticketkauf rechtfertigen.
Die erste Band – May The Tempest – startet direkt mit voller Energie und regt uns dazu an, uns die Köpfe einzuschlagen. Ich gehe schon mal sicherheitshalber, gewohnheitsmäßig, in Deckung, doch die Kids um mich herum entscheiden sich brav pazifistisch gegen das Blutbad. Auch im späteren Verlauf des Sets versucht die Band mich in Schwierigkeiten zu bringen, indem sie darum bitten, dass jeder von uns die Person links und rechts von sich umarmt. Ich entscheide mich klugerweise dagegen, fremde Kinder anzufassen, aller kuscheligen Metal-Liebe zum Trotz.
In der Umbaupause bietet man uns White Girl Pop vom Feinsten: Miley Cyrus, Taylor Swift und der absolute 2010er Banger “Behind These Hazel Eyes” von Kelly Clarkson. Das Pit leert sich, Leute gehen bequem Hot Dogs kredenzen und ihr Bier auffüllen. Man merkt auf jeden Fall eine andere Stimmung um knapp 17 Uhr bei einem Metal-Konzert als um 22 Uhr. Es hat was gemächlich-entspanntes, das mir gut gefällt. Ich bin in dem Alter angelangt, wo man sich konstant über seine schmerzende Hüfte und die Anzahl an Vorbands beschwert; Headbangen bei Tageslicht finde ich also ganz charmant.
Band Nummer zwei, As Time Went By (reimt sich, schön), pusht die Energie nochmal nach oben, und wir erfreuen uns am ersten Pit des Tages. Im Gegensatz zur ersten Band plädiert hier der Sänger mehrfach dafür, dass wir bitte alle lieb zueinander sind. Ich beobachte wie ein Herr mit einer wahnsinnigen Aerodynamik durch das Pit geschleudert wird, zwei Jungs blicken ihm beeindruckt hinterher. Das Nette an Metal-Shows ist, dass man sich immer drauf verlassen kann, das einen jemand vom Boden aufhebt.
Vicious Rain sind als Dritte am Start und sind kurzfristig für Chaosbay eingesprungen. Die Band spielt ästhetisch mit einigen japanischen Elementen; so sind die Mikrofonständer mit Kirschblüten-Lämpchen umrankt und der Sänger trägt ein lockeres Yukata-Oberteil. Was mir direkt gut gefällt, ist, wie viel auf der Bühne getanzt und gesprungen wird. Mehr als einmal gibt es einen Zusammenstoß zwischen Sänger und Bandmitglied – man merkt, die Bühne ist etwas platzsparend gestaltet – und irgendwie finde ich die Show dadurch umso netter. Wenn wir uns schon gegenseitig im Pit hin und her schmeißen wie Tennisbälle, dann darf das auf der Bühne ebenso passieren.
Ich kürze bei Vicious Rain ab und setze mich ein bisschen unten ins Atrium. So toll ich den frühen Start fand, ich bin nach fast drei Bands schon ziemlich geschafft – ihr erinnert euch an meine Hüfte – und brauche eine Pause. Da das Bergson ein offener Bau ist, denke ich mir, dass ich aus dem Atrium auch locker zuhören kann. Ich nehme meine Ohrstöpsel raus…Und realisiere in dem Moment, wie unfassbar, fast unerträglich laut es ist, selbst von den Sitzen unten im Erdgeschoss. Ich bin in letzter Zeit immer öfter vom Geräuschpegel bei Konzerten schockiert – vielleicht macht sich auch hier mein Alter bemerkbar – aber ich stopfe mir die Stöpsel sofort wieder ins Ohr. Der Klang ist grundsätzlich gut, wenn auch auch der Bass schwingt, doch in Sachen Lautstärken werden die hohen Decken zum Verhängnis. Ich fühle mich, als würde ich in meinem Soundbad ersaufen, und hätte ich meine Ohrstöpsel nicht dabei gehabt, hätte ich sicher nicht den Tag durchgehalten.
Selbst die Musik, die beim Umbau durch die Lautsprecher schallt, ist ohrenbetäubend laut. Ich treffe eine Bekannte und wir versuchen, während der Pause ein Gespräch zu führen – es ist schier möglich gegen den Krach anzuschreien, geschweige denn einander zu verstehen. Ich frage mich, ob das im Falle eines Notfalls – jemand wird ohnmächtig oder ruft um Hilfe – nicht für Bergson zum Verhängnis werden könnte.
Tenside und Siamese sind die de facto Headliner des Abends. Es kommt nochmal Energie in die Menge; Einige sind erst jetzt in die Location getuckert. Das merkt man daran, dass die Pits sich wieder öffnen, dass ein bisschen mehr getanzt und gesprungen wird. Mir ist inzwischen, Schande über mein Haupt, die Energie ausgegangen und so erlebe ich die Acts kuschelig aus dem Atrium.
Ein bisschen bin ich enttäuscht, dass mir die Puste ausgegangen ist. Ich mache gerne Witze über mein vermeintliches Alter, aber wenn ich ganz ehrlich bin, schiebe ich meine Erschöpfung auf zwei Faktoren: die extreme Überschallung und das kleine gastronomische Angebot.
Natürlich sind Konzerte laut, sich über Krach im Bereich Metal zu beschweren, ist fast schon albern. Aber tatsächlich hatte ich in den 15+ Jahren, in denen ich nun von einem Konzert zum Nächsten tingle, nie eine derartige Überstimulierung, nicht mal bei Festivals wie Rock im Park. Klar konnte man die Location verlassen um Luft zu schnappen, doch kaum ist man wieder drinnen, startet die Überstimulierung von Neuem.
Auch die Tatsache, dass es nur Hot Dogs als Verpflegung gab – und diese stolze 6 Euro pro Brötchen kosteten – hat den Wohlfühlfaktor gedrückt. Ich finde es verständlich, dass man beim ersten Versuch kein riesiges gastronomisches Angebot auffahren kann, und möchte das wegen der vielen positiven Aspekte des Festivals auch nicht gegen Bergson halten.
Aber ich hatte auch den Eindruck, dass die Preise auf der Getränkekarte über dem Location-Standard lagen. Hier merkt man, dass das Bergson in der Regel ein Klassik-Klientel anzieht, stereotypisch ein etwas besser betuchtes Publikum, das die 12 Euro für den Cocktail gerne zahlt. Wenn ich mir dagegen die ganzen Teenies um mich herum und mich blanke Nase anschaue, werden viele sich gegen einen Kauf entscheiden und so zwangsläufig ihren Besuch verkürzen. Ich bin nach dem Event erst mal zum Fast Food-Lokal meines Vertrauens gefahren, weil ich völlig ausgehungert war. 15 bis 23 Uhr ohne Essen und Getränke – kein Wunder, dass ich am Schluss hinüber war. Ich fände es grundsätzlich auch richtig, wenn Konzertlocations Wasser kostenlos anbieten. Wenn ich einen Euro für jedes Mal hätte, dass jemand bei einem Konzert dehydriert umgekippt ist…Na, dann hätte ich mir vielleicht doch ein paar Hot Dogs geleistet.
Fazit: Das Bergson Metal Fest hat einen wirklich charmanten ersten Eindruck hinterlassen. Die Location ist ansprechend, die Tickets bezahlbar, das Lineup hochkarätig. Überall wo ich hingeschaut habe, gab es glückliche Gesichter. Ich finde es wunderbar, dass Bergson der Szene eine Plattform bieten möchte und durch die Konstellation auch dem jüngeren Publikum Zugang zu Metal-Kultur gibt. Klare Mankos sind die Erreichbarkeit und das gastronomische Angebot. Gegen Ersteres ist Bergson machtlos; leider ist ist es in München typisch, dass alles Alternative gen Stadtrand gedrängt wird. Letzteres sollte sich Bergson aber auf jeden Fall zu Herzen nehmen. Etwas mehr Angebot zu günstigeren Preisen wird garantiert dazu führen, dass mehr konsumiert wird. Im Bereich Sound – allem voran Bass und Lautstärke – wird Bergson nochmal tüfteln müssen. Es ist natürlich eine ganz andere Herausforderung, ein Klassik-Konzert versus eine Metal-Show zu “vertonen”. Ich bin schon sehr gespannt auf nächstes Jahr!