Wie der Record Store Day 2025 meine Plattensammlung vervollständigte
17.04.2025 | Hermann Breitenborn

Kennt ihr das auch, ihr verbringt Tage, vielleicht sogar Wochen damit ein Puzzle fertigzustellen - und dann seid ihr fast am Ziel, aber das letzte Teil fehlt? Ihr sucht in der Kiste, auf dem Fußboden, streitet euch mit eurem Partner oder Partnerin. Letztlich müsst ihr einsehen: Das Teil ist weg und ihr schwört euch, nie wieder ein Puzzle auf dem Flohmarkt zu kaufen.
So ähnlich ging es mir mit der Diskographie meines Lieblingskünstlers Warren Zevon - nur, dass dieses Puzzle bereits mehrere Jahre im Bau ist.
Warren Zevon wurde 1947 in Chicago geboren und erarbeitete sich in den späten 60ern und frühen 70ern einen Ruf in der aufstrebenden Songwriter-Szene von Los Angeles. Unter anderem war er als musikalischer Leiter der Liveshows der Everly Brothers tätig, startete eine recht erfolgreiche Solo-Karriere, umgab sich mit Künstler:innen wie Jackson Browne, Linda Ronstadt, Lindsey Buckingham, Stevie Nicks, Bruce Springsteen und Billy Bob Thornton. Er gründete mit den Jungs von R.E.M. (noch bevor sie R.E.M. waren) die Hindu Love Gods, hatte Bob Dylan als Mundharmonika-Spieler im Stück ‘The Factory’, schrieb Songs gemeinsam mit Hunter S. Thompson, war Bandleader für David Letterman, you get the picture. Und doch blieb er hinter den meisten Namen zurück, was den Bekanntheitsgrad angeht - vor allem in Deutschland. Sein bekanntestes Lied ‘Werewolves of London’ entstand zur selben Zeit wie Lynyrd Skynyrds Megahit ‘Sweet Home Alabama’ und teilt sich durch einen irren Zufall die ikonische Melodie.
Warren Zevon lernte Piano bei Igor Stravinsky und träumte Zeit seines Lebens davon, eine Sinfonie zu komponieren. Er war ein Virtuose im Songwriting, seine Musik geht weit über klassischen Singer-Songwriter oder LA Rock hinaus. Dylan taufte ihn als einen 'Musician's Musician'. Die Texte sind durchzogen von tragischer Komik und schwarzem Zynismus, gespickt mit phonetischen Wortspielereien (“Little old Lady got mutilated late last night” - sagt das 3x schnell hintereinander!) und einem weitreichenden Wortschatz. Oder wie viele Songs kennt ihr, die das Wort “brucellosis” enthalten? Nicht umsonst sah sich der unglaublich belesene Zevon näher an zeitgenössischer amerikanischer Literatur als am Pop-Rock. Vielleicht wurde seinem Ruhm diese Komplexität letztlich zum Verhängnis. Das und seine Dämonen. Zevon war lange alkohol- und drogenabhängig, süchtig nach Sex, ein getriebener Kreativer, der die sprichwörtliche Kerze an beiden Enden angezündet hat. Er wurde 56 Jahre alt. Dass bei einer solchen Biografie noch niemand ein Biopic über den Ausnahmekünstler gedreht hat, ist verwunderlich - Hank Moody aus ‘Californication’ ist ihm immerhin zu großen Teilen nachempfunden. Vielleicht aber auch ein versteckter Segen, denn eine 0815 Film-Biographie, wie sie in den letzten Jahren nur allzu häufig aus Hollywood kam (*hust* Bohemian Rhapsody *hust*) würde Zevon absolut nicht gerecht werden.
Nun sammele ich schon, solange ich überhaupt Platten sammele, die LPs von ihm. Von seinem vermeintlichen Debut-Album ‘Warren Zevon’ von 1976 (in einer Originalpressung wohlgemerkt), zu seinem eigentlichen Independent-Debut-Album ‘Wanted Dead or Alive’ von 1969. Sein wahrscheinlich bekanntestes Album ‘Excitable Boy’ (das in Argentinien übrigens unter dem Titel ‘Muchacho Excitable' erschien) bis zu seinen 80er und 90er Jahre Releases. Ich habe auch die Presse-Platte vom 1991er Album ‘Mr. Bad Example’ mal für entspannte 40€ bekommen - mittlerweile startet diese Scheibe dreistellig. Auch ironisch, dass diese Presse-Platte damals nur in Deutschland erschien, obwohl er hierzulande nach wie vor weitgehend unbekannt ist.
Auch von seinem genialen letzten Album ‘The Wind’, das er in dem Wissen schrieb, in wenigen Monaten an einem inoperablen Mesotheliom (eine Art Lungenkrebs) zu sterben, besitze ich die Erstauflage aus dem Jahr 2003. Wer sich mit Vinyl in den frühen 2000ern auskennt, weiß, dass dieses in der Zeit rar gesät war und heute entsprechend selten ist.
Und dennoch blieb da ein weißer Fleck. Warrens Sohn Jordan Zevon hat sich in den letzten Jahren sehr darum bemüht, das Werk seines Vaters zu kuratieren und so bekamen wir 2018 die Neuauflage von ‘The Wind’ und erstmals auf Vinyl das 2001er Album ‘My Ride’s Here’, sowie 2020 das erste Mal ‘Life’ll Kill Ya’ auf Platte. Aber das 1995er Album ‘Mutineer’ fristete sein Dasein nur auf CD. Bis jetzt.
Wie jedes Jahr schickte mein Kumpel Chris, der in Hamburg die Plattenkiste betreibt, Anfang Februar einen Reminder, dass die Liste zum diesjährigen Record Store Day jetzt veröffentlicht wurde und er Bestellungen entgegennimmt. Für viele ist der Record Store Day zu einer reinen Kommerzveranstaltung geworden, bei dem die Releases extra überteuert sind, um den Vinyl-Freaks das Geld aus der Tasche zu ziehen. Ich für meinen Teil denke nur darüber nach, dass ich meine kleine Tochter möglichst bald auch auf den Sammel-Trip bringe - dann hat sie zumindest nie Geld für Drogen.
Nun, wie jedes Jahr, scrolle ich direkt zum Buchstaben Z um zu sehen, ob wieder ein Zevon-Release dabei ist. Was das angeht, konnte man sich in den letzten 10 Jahren kaum beschweren: 2016 gab es eine 7” Picture Disc mit ‘Werewolves of London' in der Original-Version und dem Cover der Flamin’ Groovies, 2020 gab es den Sampler ‘Warren Zevon's Greatest Hits (According To Judd Apatow)’ und 2021 die ‘Preludes (Rare And Unreleased Recordings)’ erstmals auf Vinyl.
Dieses Jahr steht nun auf der Liste unter ‘Zevon, Warren’ eine 4LP Sonderbox mit dem Titel ‘Piano Fighter (The Giant Years)’ - die die Alben beinhaltet, die er zwischen 1991 und 1995 unter Giant Records rausgebracht hat: ‘Mr. Bad Example’ (das erste Mal als offizieller Release), ‘Learning To Flinch’ (ein Live Akustik-Doppelalbum) und natürlich ‘Mutineer’. Mein fehlendes Puzzleteil. Mein Moby Dick - ironisch, dass genau dieses lang gejagte Album einen nautischen Titel hat.
Das Album ist von der Orchestrierung ungewöhnlich, teilweise fast experimentell, aber hat trotzdem das unverwechselbare und unerreichte Songwriting, das Zevon auszeichnet. Es beinhaltet u.a. die Studioversion von ‘Piano Fighter’ (die als Live-Version auf ‘Learning to Flinch’ debütierte und dem Boxset den Namen gibt), sowie Lieder wie ‘Something bad happened to a Clown’, ‘Monkey Wash Donkey Rinse’ und ‘Jesus was a crossmaker’. Das meiner Meinung nach beste und schönste Lied des Albums ist allerdings ‘The Indifference of Heaven’, das die für Zevon typischen melancholischen Noten spielt:
“The past seems realer than the present to me now/ I've got memories to last me/ When the sky is gray/ The way it is today/ I remember the times that I was happy”
Die Platte drehte sich jetzt bereits mehrfach auf meinem Plattenspieler, mein Grinsen breit, aber auch melancholisch. Ich musste daran denken, dass sas Titelstück des Albums 'Mutineer' auch das letzte Lied war, das Zevon live im Fernsehen gespielt hat, als David Letterman ihm kurz vor seinem Tod eine ganze Episode seiner Talkshow widmete. Zeitlebens und darüber hinaus war Letterman ein Unterstützer und Freund von Warren Zevon. Selbst als er 2017 die Laudatio für die Aufnahme von Pearl Jam in die Rock 'n Roll Hall of Fame hielt, konnte er es sich nicht verkneifen, einen Seitenhieb an das Komitee zu richten, das Zevon nun seit Jahrzehnten ignoriert (selbst ein überragender Publikums-Vote im Jahr 2023 blieb ergebnislos). Aber Schauspieler Groucho Marx hat es wohl am besten gesagt: "I don't want to belong to any club that would accept me as one of its members.”
Mein Puzzlestück ist jedenfalls gesetzt und meine Sammlung nun endlich vollständig. Naja fast. Jetzt kann ich mich auf die wirklich obskuren Zevon-Releases konzentrieren, wie die Flexidisc, zu der es keine Informationen im Internet gibt, von der mir aber mal ein Plattenladenbesitzer erzählt hat, dass es die ganz bestimmt gibt.


Hermann Breitenborn
Hermann ist Videoredakteur im Miniatur Wunderland und Co-Host des Podcasts Ja, hier…Filme. Vom Kleidungsstil hängen geblieben irgendwo zwischen 1985 und 2005 geht es bei ihm musikalisch auch meistens nostalgisch zu, wobei von leise bis zu laut alles dabei sein darf.