Cave Peractorum III - A-HA und "The Sun Always Shines On T.V."
19.01.2025 | Frank Diedrichs

Als Jugendlicher und junger Erwachsener war WDR 4 für mich nur die westfälische Variante von NDR 1 – Radio Niedersachsen. Schlager, komische Volksmusik á la Kastelruther Spatzen, wenn es gut war, gab es mal ein bisschen Rock’n’Roll a la Shakin Stevens. Bei meinen Eltern und meiner Oma lief dieses NDR-Ding den ganzen Tag. Kam bei mir gar nicht gut an. Interessanterweise wächst WDR 4 aber mit seinen Hörenden. Mit dem Versprechen das Beste der 80er Jahre zu spielen, greift der Sender nun Songs auf, mit denen ich – mensch mag es kaum glauben und mir verzeihen – meine ersten Mixtapes bespielt habe. Haltet euch fest, welche Songs sich da in der ersten Hälfte des Jahrzehnts zum Beispiel getummelt haben:
- Lionel Richie - „Dancing On The Ceiling”
- Soft Cell - “Tainted Love”
- Culture Club – “Do You Really Want To Hurt Me”
- Bryan Adams – “Heaven”
- Simple Mind – “(Don’t You) Forget About Me”
- Kim Wild – “Kids In America”
- Opus – “Life Is Life”
- Robin Gibb – “Juliet”
- Billy Ocean – “When The Going Gets Tough, The Tough Get Going”
Wildes Zeug, bunt gemixt, ohne erkennbare Genrepräferenzen. Aber im Alter von acht bis dreizehn Jahren begab ich mich gerade erst auf meine erste musikalische Entdeckungsreise. Gehört habe ich, was mich berührt hat. Verstanden habe ich die Songtexte eh nicht.

Viele dieser Songs laufen inzwischen auf WDR 4. Flashbacks sind da garantiert, manche peinlich, manche lustig, aber sie spiegeln immer ein Stück meiner Vergangenheit wider.
Der Song, den ich inzwischen am häufigsten wahrnehme, ist „The Sun Always Shines On T.V.“ von A-HA. Er wurde als Singleauskopplung Im Dezember 1985 veröffentlicht und stammt vom Debütalbum „Hunting High And Low“. Das erste Mal gehört habe ich ihn in der Schule. Er ist auch der erste Song, der in meiner Erinnerung mit einem Ereignis verknüpft ist.
Aufgrund meiner guten Leistungen im Englisch-B-Kurs durfte ich zum zweiten Halbjahr Klasse 6 in den A-Kurs wechseln. Letztlich war dieser Wechsel nichts Aufregendes, wir kannten uns untereinander. Ich ging also in den neuen Kurs und musste mir selbstverständlich einen englischen Namen zulegen. Ich war da sehr kreativ und mensch durfte mich „Frank“ nennen. Im Gegensatz zu meinem vorherigen Kurs wurde nun viel auf Englisch gesprochen, na toll. Es ging in dieser ersten Stunde um die Umsetzung eines Rollenspiels. Der Traum eines jeden Jugendlichen, bei dem die Pubertät einen ersten Fuß in der Tür hatte.
Das Szenario dieses Rollenspiels war mir bis dahin in meinem realen Leben gänzlich unbekannt. Es ging um eine Party, aus der wir eine Szene spielen sollten. Okay?! Ich bekam meine kurze Sprechrolle. Und wäre am liebsten sofort wieder in meinen anderen Kurs gerannt. Ich sollte auf dieser Party, die vor der mit Kreideballons dekorierten Tafel stattfand, ein Mädchen zum Tanzen auffordern und dann tatsächlich, in echt mit ihr tanzen. Ich konnte nun natürlich schlecht eingestehen, dass ich keine Ahnung hatte, wie dieses Tanzen geht. Beim Musikhören zu Hause saß ich auf dem Bett und der Kopf wackelte ein bisschen.
Ich wusste, dass ich da durchmusste, ich wollte schließlich auch meinen Eltern und den Lehrkräften beweisen, dass ich in den A-Kurs gehörte.
Das Rollenspiel begann. Im Klassenraum machten zwei Schüler:innen Small Talk. Dann sagte jemand: „Play some music, please!” Mein Stichwort. Ich ging auf das Mädchen zu, welches ich auffordern sollte, und sagte im unperfekten Englisch: “Do you want to dance with me?“ Das Schöne an dieser Situation war, dass mir das Mädchen keinen Korb geben durfte. Ihre Rolle sah vor, dass sie mit mir tanzte. Glück gehabt, war ich zu dieser Zeit nicht der Mädchenschwarm, eher introvertiert und immer im inneren Konflikt mit mir selbst und nach außen hin der Typ, der „mit Mädchen Gummitwist spielt“, statt cool herumzulaufen.
Die Lehrkraft hatte als Song „The Sun Always Shines on T.V.” von A-HA ausgesucht. Die ersten Töne erklangen. Jetzt, viele, viele Jahre später habe ich die passenden Worte für das Intro: Eine sanfte, melancholisch wirkende Melodie wird auf dem Keyboard gespielt. Leicht sphärisch-verträumte Töne, die sich in einen typischen Synthie-Pop-Beat steigern. Nach dem Intro wird der Song kraftvoller, die Beats eindringlicher, aber die Stimme Morton Harkets und die Keys im Hintergrund bleiben aber weiterhin voller Melancholie und bestimmen bis heute meine Wahrnehmung des Songs.
Damals wie heute klingt er für mich einfach nur traurig. Wie ich mit dem Mädchen getanzt habe, weiß ich nicht mehr genau. Die erste Zeile „Touch me, how can it be?“ habe ich verstanden. Die Traurigkeit, den Wunsch nach Berührung, habe ich auch damals schon begriffen. Auch, dass die Sonne immer nur im T.V. erstrahlt, immer quasi nur für andere, war für mich eine sehr subjektiv empfundene Wahrheit. In der späteren Reflexion dieser Jahre ist mir aber klar geworden, dass für mich doch sehr oft die Sonne schien und nicht alles im Dunkeln lag. Nennt es Altersweisheit. Aber Worte, in denen es um die Zweifel an mir selbst geht und die abschätzigen Blicke meines Spiegelbildes benennen, waren in meinem Leben immer wieder Realität. Die Englischstunde im Februar 1986 markiert die erste Saat, die A-HA mit diesem Song in mir gesät haben, zur Entfaltung kam der Text aber erst, als mein Englisch so sicher war, dass ich die Lyrics verstanden habe und ich mich in ihnen wiederfand.
Ich finde es faszinierend, dass diese Erinnerung mit den dazugehörigen Bildern, Gefühlen und Gedanken schon beim Intro sofort spürbar sind. Nicht mehr mit Melancholie oder Sehnsucht, sondern mit einem Blick zurück auf eine Zeit, die mit all ihren Umständen und Voraussetzungen dazu beitragen konnte, dass ich der Mensch bin, der diese Zeilen schreibt.
Ach ja, ein Fun Fact zum Schluss – von dem Mädchen, mit dem ich zu „The Sun Always Shines On T.V.“ getanzt hatte, bekam ich in den Sommerferien 86 meinen ersten Kuss. Tja, manchmal „The Sun Sometimes Shines On The Hinterhof“!

Frank Diedrichs
Frank lebt seit über zwanzig Jahren in der Mitte Niedersachsens und unterrichtet Kinder und Jugendliche an einer Oberschule. Nach seiner musikalischen Erstprägung durch die Toten Hosen und Abstürzenden Brieftauben erweiterte er seine Hörgewohnheiten: Folkpunk, Singer-/Songwriter, Blues, Deutschpunk, US-/UK-Punk. Dabei kommt von Johnny Cash über The Beatles und Pascow bis hin zu Marvin Gaye eine Menge Vielfalt aus den Boxen, am liebsten als Vinyl.