Jordan von La Dispute: Against The Noise
05.11.2025 | Nataly Sesic
Ich spreche mit Jordan an einem besonders sonnigen Tag in Frühherbst in Seattle. Während es in München bereits zappenduster ist, ist seine Wohnung in goldenes Licht getunkt. Wenn man an die Grunge-Hauptstadt im Nordwesten der USA denkt, denkt man nicht unbedingt an perfekten Sonnenschein – umso mehr möchte Jordan die unerwarteten Sonnenstrahlen genießen, bevor die Stadt in vier Monaten voller Regen ihrem Titel als “Rain City” alle Ehren macht.
In vielerlei Hinsicht mag man sagen, dass das neue Album von La Dispute, “No One Was Driving The Car”, ebenso eine sonnige Überraschung in einer erwarteten Wolkendecke ist. Manch einer mag denken, dass die Musik von La Dispute schwermütig ist. Sicher behandeln Jordan und seine Bandkollegen oftmals emotional komplexe Themen: Lieder wie “King Park”, in dem es um einen Anschlag und die folgende Jagd auf die bzw. den Täter geht, hört man bestimmt nicht beim Joggen oder entspannt in der Badewanne. Doch es wäre falsch zu sagen, dass La Dispute ausschließlich von Trauer und menschlichen Abgründen leben.
La Dispute gelten als Mitbegründer der New Wave, einer modernen Strömung des Post-Hardcore in den USA. Ihre erste EP, “Vancouver”, wird 2026 20 Jahre alt. Die Band hat eine lange Reise hinter sich, und Jordan beobachtet, wie sehr die Landschaft sich verändert hat, seit er und ein paar Freunde entschieden haben, Instrumente zu zücken und aus Jux Musik zu machen.
Über die gesamte Musikszene hinweg, unabhängig von Genre, scheint das kreative Fundament seit einiger Zeit zu bröckeln. Die ganz großen Künstler:innen, vor allem im Bereich Pop, scheinen sich immer wieder mit neuen Verkaufsrekorden zu übertreffen. TikTok erlaubt es, mehr kleinen Künstler:innen eine Plattform zu generieren; für wie lange, ist unterschiedlich. Es sind die Künstler:innen in dieser vermeintlichen, nicht klar definierbaren Mitte, die nur schwer Fuß fassen können. Das ist ein Phänomen, das wir auch immer mehr beobachten – wirtschaftlich, sozial, politisch –, und vor der Kunst macht es auch keinen Halt: “We are in a transition with technology and the way people consume music,” meint Jordan. “That forces bands to find ways to remain sustainable – so there’s definitely challenges to that.”
Selbst La Dispute, die in der Hardcore-Szene ein bekannter Name sind, ist das eine Herausforderung. Touren sind teuer, CDs und Vinyls zu drucken ist teuer, Merch ebenso. Überhaupt die Zeit und den Raum (im physischen wie im philosophischen Sinne) für Musik zu haben, ist teuer. Es ist bei weitem keine neue Weisheit, doch man muss es sich leisten können, Künstler:in zu sein. Und insbesondere in Hinblick auf die andauernden internationalen wirtschaftlichen und sozialen Krisen wird die Möglichkeit zur Kunst für Menschen aus der mittleren oder einer niedrigeren sozialen Schicht immer weiter beschnitten.
Auch der Impact von Streaming, wie Musiker:innen für ihre Kunst entlohnt werden (oder auch eben nicht) und die Art und Weise, auf die Social Media unser Konsumverhalten und unsere Aufmerksamkeitsspanne verändert, sind Themen, die Jordan stark beschäftigen.
Es ist nicht alles schlecht: Heute findet jemand seine neue Lieblingsband vielleicht beim Scrollen auf TikTok. Das ist weder moralisch besser noch schlechter als damals, als Jordans Freunde ihm mit 13 ihre Lieblingssongs auf CDs gebrannt haben und er so die Künstler:innen entdeckt hat, die sein Leben fortwährend geprägt haben.
Was ihm jedoch zu denken gibt, ist die Art von Medien, mit denen wir, vor allem in den letzten Jahren, mehr und mehr überflutet werden. Zu viel der Medienlandschaft wird von Filmen, Songs, Serien und Büchern dominiert, die primär dazu da sind, zu unterhalten und abzulenken.
Jordan hat nichts gegen den nächsten Marvel-Film, doch er findet, wir als Menschen brauchen Kunst, an der wir uns reiben können, die eine Reaktion fördert; gut oder schlecht: “I enjoy things that throw me off-kilter. That make me feel uncomfortable.” Das zwingt zum Nachdenken, zum Handeln und vielleicht sogar zum selbst Erschaffen.
Jordan versteht den Wunsch nach Ablenkung, plädiert für die großen und kleinen Freudenschimmer in einem Alltag, der immer mehr von Krisen geprägt wird. Wenn er einen Blick auf die politische “shitshow” seiner Heimat wirft, kann er nur zu gut verstehen, wieso man lieber, wenigstens für einen kleinen Moment, wegschaut, um nicht völlig in der Dunkelheit zu versinken. Doch, ob wir hinsehen wollen oder nicht, vor den Konsequenzen wird sich keiner retten können, insbesondere wenn wir uns als Menschen und Menschheit dazu entscheiden, Ablenkung statt Lösungen zu suchen. “It’s incumbent on every one of us to find our escapism, but also to engage with what is happening around us so that we can be a part of making it better."
Challenging – herausfordernd – ist sicher ein guter Begriff für die Musik von La Dispute und vor allem auch das neue Album, “No One Was Driving The Car”. Jordan sammelt Inspiration von überall; Medien, die er konsumiert, Gespräche, die er auf der Straße aufschnappt. La Dispute hat in 20 Jahren Bandgeschichte “nur” fünf Alben veröffentlicht. Das ist einerseits der Wirtschaftlichkeit und der Bandkonstellation geschuldet, gleichzeitig aber auch Teil des künstlerischen Prozesses.
Eine neue La Dispute-Platte jedes Jahr wäre mit Jordans Art zu schreiben, und der Art der Band, Musik zu machen, nicht vereinbar. “I feel connected to what teaches me about the experience of being human”, sagt Jordan. “My hope, always, is to capture accurately a time in my life and the life of the people beside me. I’m always attracted to the experience of people. And I hope the new record captures that world in which we’ve all lived in the past 5-6 years.”
Die Platte führt musikalisch wie textlich lose durch ein Narrativ. Laut Jordan wurde das Album stark an der 5-Akt-Struktur orientiert, die auch viele Filme nutzen. Das Ziel war es, eine Leitlinie zu kreieren, die den Hörer:innen durch die Erfahrung begleitet, und die musikalisch nicht bei den Höhepunkten stehen bleibt, sondern auch ein Licht auf die Tiefen scheint. “We wanted to capture the unease, the anxiety of contemporary life and to reflect what I was feeling and continue to feel,” erklärt Jordan. “And by extension to reflect what other people are feeling, too. Because I don’t think it’s just me.”
Nervosität, Unsicherheit über die Zukunft; das sind die Motive, die “No One Was Driving The Car” transportieren soll. Gleichzeitig will Jordan, dass die Hörer:innen hoffnungsvoll aus dem Album rausgehen. Die Welt ist komplex. Vor 10 Jahren – wenn nicht sogar fünf – hätten viele von uns sich sicher nicht träumen lassen, wie die Welt heute aussieht. “No One Was Driving The Car” erklärt schon mit dem Titel diese Unsicherheit und diesen Kontrollverlust zum Schmerzpunkt. Die Herausforderungen des modernen Lebens, die großen und kleinen Tragödien des Alltags, die Gewalt und Ungerechtigkeit, die uns und den Menschen um uns zu Teil wird, legen sich wie eine Decke auf die Welt, die alles zu verdunkeln scheint. Doch das bedeutet weder, dass wir alleine sind, noch dass ein gutes Ende unmöglich ist.
“No One Was Driving The Car” entsteht auf der ganzen Welt, erzwungen durch die physische Distanz der einzelnen Bandmitglieder und dadurch entstehende Isolation von ihrem Alltag. Diese Album-Sessions ersetzen natürlich nicht das gemeinsame Jammen oder auch ganz banal die Einfachheit in der Zusammenarbeit, wenn alle in derselben Stadt ansässig wären. Gleichzeitig mag es Jordan aber auch, dass diese Art von Zusammenarbeit erlaubt, dass sich Songs setzen können, dass Ideen Raum zum Atmen haben. “We’ve had such a fulfilling experience with this record,” sagt Jordan. “It was a level of excitement and creativity we might not have felt in the same way for a really long time."
Jordan spürt natürlich den Druck, regelmäßig zu veröffentlichen. Schließlich möchte man der Öffentlichkeit nicht die Chance geben, Einen zu vergessen. Es ist heute umso schlimmer wenn man bedenkt, wie der Erfolg von Künstler:innen direkt an die Zahlen auf den sozialen Medien geknüpft werden können. Gesehen zu werden, die nächste Welle oder den nächsten viralen Trend zu reiten, scheint oft wie der einzige Weg, um den hart erkämpfen Platz an der Sonnen zu behalten. Jeder will Erfolg haben, jeder will Geld verdienen. Der Drang ist da: Sollen wir mehr auf Social Media posten? Sollen wir unsere Musik so verpacken, dass man sich weniger an ihr reibt, dass sie mehr “mass appeal” hat? Jorden und die Jungs von La Dispute können sich nicht dazu durchringen. “You just don’t want to compromise your intent by rushing or by ceding to outside influences,” sagt Jordan. “And I think the fact that our band is still around, and that we can just appear out of nowhere after years of no releases, is also because of how we operate. We’re fortunate to be in that position.”
Am Ende möchte man sich allem zum Trotz dennoch treu bleiben, trotzdem den Ethos des Genres vertreten, in das man sich damals noch als Teenager verliebt hat und das nun zu ihrem ganzen Leben geworden ist. Für Jordan ist es wichtig, dass La Dispute, als Band, die sich im Punk-Genre ansiedelt, nicht nur ästhetisch punk ist, sondern auch ethisch die Philosophie zu vertritt: “You were attracted to it in the first place because it was alternative, because it was counter-cultural, so in that respect, you have to wear it like a badge of honour,” findet er.
Manchmal kann sie auch das erdrücken, diese intensive Auseinandersetzung mit der Welt und dem Publikum. Insbesondere als Jordan noch jünger war und die Songtexte noch näher an seiner persönlichen Erfahrung orientiert waren. Lange war Songwriting für Jordan die Methode um Gefühle und Gedanken auszudrücken, die er sonst nicht verbalisieren würde; auch heute ist das noch so. Inzwischen hat er mehr als sein halbes Leben als ein Teil von La Dispute zugebracht und musste sich zwangsweise emotional distanzieren.
Wenn man schreibt, so Jordan, lebt man in seiner ganz eigenen Welt, die nur der Entstehung des Lieds, der Kreativität gewidmet ist. Erst, wenn man auf der Bühne steht, und sieht, wie das Lied die Menge beeinflusst, schafft man es, die Musik als Ganzes zu sehen, zu erkennen, wie es andere Menschen berührt. “More often than not, the feeling I have on stage comes from the emotions the crowd is experiencing. You learn to feed off that energy," sagt er. “The beauty of performing something deeply emotional is that you’re engaging with people. It’s a dialogue.”
Die Beziehung zwischen ihm als Musiker und den Fans hat tausend Facetten – eine innige Liebe, eine Bürde, eine Verantwortung. Jordan fühlt sich nicht in der Position, als Autorität über die Themen zu sprechen, die La Dispute anschneidet. “I’m just a dude figuring shit out,” gibt er zu. “I think sometimes people misunderstand my role in what they’re experiencing.”
Er hat keinen Heiltrank für die Misere der Welt oder die verletzten Gefühle der Fans. Nur ein offenes Ohr.
Nataly Sesic
Unter Freund:innen weiß man: Wenn du neue Musik auf die Ohren brauchst, fragst du Nataly. Als Maximalistin im wahrsten Sinne des Wortes liebt sie „too much“: sei es Pop der 2010er, Rock der 80er oder mysteriöse Subgenres irgendwo zwischen tumblr und Totalausfall; Nataly hat dazu eine Meinung - und sicher einige Fun Facts parat. Wenn sie nicht gerade auf einem Konzert ist, macht Nataly die Hallen ihrer Universität unsicher, schreibt oder liest Bücher oder hat selber die Gitarre in der Hand.